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Irgendwann Holt Es Dich Ein

Irgendwann Holt Es Dich Ein

Titel: Irgendwann Holt Es Dich Ein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Hill
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eigentlich nicht wusste, was sie tun sollte, nach draußen getrottet und hatte sich ein Taxi herbeigewinkt.
    Nun war sie hier, schlotterte nach wie vor unter der blauen Krankenhausdecke, stieg aus dem Taxi und wollte den Fahrer bezahlen. Aber ihre Finger, inzwischen ohne Handschuhe, waren fast zu eisig, um Geld aus ihrem Portemonnaie zu holen. Das Haus war dunkel, alle Vorhänge waren noch offen, und die Fenster wirkten wie tote Augen. Während Kate sich mit dem Hausschlüssel abmühte, kam ihr in den Sinn, dass Nachbarn, die sie zufällig sahen, denken mussten, sie kehre sturzbetrunken von einem Kneipenabend in der Stadt zurück. Sie stieß die Vordertür auf und trat sie mit dem Fuß zu, sobald sie drinnen war, während sie nach dem Lichtschalter tastete. Das Licht in der Diele erschien ihr unerträglich grell. Sie musste sich eine Hand über die Augen halten, um es abzuschirmen, und sackte auf die Holzdielen, viel zu erschöpft, zittrig und benommen, um noch irgendetwas zu tun.
     
    »Was ist los?«
    Neil war Anrufe mitten in der Nacht gewöhnt. Immer meldete er sich mit klarer Stimme und wirkte hellwach, selbst wenn er es nicht war. In seinem Job bedeutete ein nächtlicher Anruf, dass etwas »los« war. Und das war gleichbedeutend mit einer Story: ein Toter, ein »Zwischenfall«, Schlagzeilen.
    »Was ist los?«, fragte er wieder, stützte sich mit dem Ellbogen auf dem Kissen auf und versuchte, die Anrufernummer auf dem Display seines Handys zu lesen. Mist! Es war Kate. Er sprach betont sanft: »Liebling, was ist denn? Was ist passiert?«
    Kate neigte nicht zum Weinen. Sie war eine ganz Zähe. Selten hatte er einen Gefühlsausbruch bei ihr erlebt. Das war eines der Dinge, die er an ihr liebte und bewunderte. Und so absurd es schien, hatte gerade diese Eigenschaft zur Zerrüttung ihrer Ehe beigetragen - zu ihrer Entfremdung, der Trennung auf Probe oder wie immer sie es bezeichnen wollten. Kate hatte ihn nie mitten in der Nacht angerufen, um ihm weinend ihr Herz auszuschütten, nicht einmal in ihren schlimmsten Momenten. Folglich musste Neil schlucken, als er sie nun so furchtbar schluchzen hörte. Er fühlte, wie sein Herz hämmerte. Das war unheimlich.
    Die Handyverbindung war schlecht, und Neil verstand nur, dass Kate etwas von einer Schulfreundin redete, einer alten Schulfreundin. Er strengte sich an, ihr zu folgen, aber weil er erwartet hatte, dass es um ihn und sie ginge, um ihre Beziehung, brauchte er eine Weile, bis er Kate richtig zuhören konnte. Soweit er sich entsinnen konnte, hatte Kate nie irgendwelche alten Schulfreundinnen erwähnt, kein einziges Mal. Auch das mochte und hasste er an ihr: keine alten Freundinnen, die man besuchen oder zum Dinner einladen musste, um so zu tun, als möge man sie. Zugleich hatte er stets das ungute Gefühl gehabt, dass Kate zu viel verbarg. Eine alte Schulfreundin war gestorben, das erzählte sie ihm. Traurig, ja, aber wieso rief sie ihn um diese Zeit an, um ihm davon zu erzählen? Warum war sie deshalb so außer sich?
    Mit einer Hand hielt er sich das Telefon ans Ohr und schwang sich aus dem Bett. Er war unterwegs, um für einen Fernsehdokumentarfilm zu recherchieren, und übernachtete in einem billigen Hotel. Im Zimmer roch es nach dem Curry, das er sich am späten Abend bei einem indischen Schnellimbiss geholt und während einer Late-Night-Fernsehshow verspeist hatte, wobei er Naan-Brot anstelle von Besteck benutzt hatte. Neil ging hinüber zum Fenster und zog den Vorhang ein kleines Stück beiseite. Die Aussicht war dieselbe, die man in England von allen Hotels dieser Billigketten am Stadtrand hatte: ein Parkplatz, dann eine Hauptstraße, jenseits der Straße ein Baugrundstück, ein McDonald's und eine Tankstelle. Anonym, deprimierend, austauschbar. Neil hatte schon Mühe, sich an den Namen des Ortes zu erinnern, in dem er war. Irgendwo in der Gegend um Birmingham, wo die West Midlands in Richtung Malverns, Cotswolds - oder was auch immer - ländlicher wurden. Mehr fiel ihm gerade nicht ein. Und währenddessen schluchzte sich seine Frau - seine entfremdete Frau - in London die Seele aus dem Leib, ohne dass er begriff, wieso.
    »Warst du gut mit ihr befreundet? Bist du deshalb so fertig? Erzähl mir alles!« Der letzte Satz kam quasi automatisch heraus, und unwillkürlich verzog er das Gesicht. Das war der Fluch des Journalisten: Solche Fragen gingen ihm wie von selbst über die Lippen und klangen folglich nicht ernst gemeint.
    »Neil, du verstehst mich nicht. Hör

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