Irgendwann Holt Es Dich Ein
Erfahrung bringen? Nein, es hat bestimmt mit deiner alten Schule zu tun. Wie sonst sollte jemand wissen, wer ihr seid?«
Es war frustrierend. Neil und sie kamen der Wahrheit kein Stück näher. Es war ein Mann, ein älterer Mann. Manchmal huschte ein Gesicht durch Kates Träume, das sie jedoch nie richtig sehen konnte. Und Kate ärgerte sich über sich selbst. Sie hatte sich so sehr angestrengt, ihre Schulzeit zu vergessen, dass sie sich jetzt, wo es darauf ankam, gar nicht mehr erinnern konnte.
Sie hatte damit gerechnet, dass der Stalker noch mehr schicken würde. Darauf waren Neil und sie vorbereitet, ja, sie warteten beinahe darauf. Richard hatte einen großen Umschlag voller Post an ihre Privatadresse weitergeleitet, den Kate ungeduldig öffnete. Sie hatte sich Latexhandschuhe übergezogen, um mögliche Fingerabdrücke nicht zu verwischen. Dazu hatte Neil ihr geraten. Aber der Umschlag enthielt nichts Merkwürdiges, nichts über Geburten, Babys oder Fehlgeburten; bloß ein paar verspätete Weihnachtsgrüße von Hörern und eine CD von einer Plattenfirma. Sonst nichts. Es war befremdlich ruhig. Unheimlich ruhig. Nach dem Schock des Weihnachtsgeschenks hatte Kate sich beinahe gewünscht, es möge etwas anderes, Großes geschehen - eine dramatische Konfrontation, eine Todesdrohung, irgendetwas, was sie eindeutig mit Serenas Tod in Verbindung bringen konnte. Neils Polizistenfreund Dave Steele war hier gewesen, um mit ihr zu reden. Sie hatten am Küchentisch gesessen. Doch als Kate zu beschreiben versuchte, was sie bisher erlebt hatte, wurde alles schwammig - alles, bis auf die Puppen.
Kate überlegte, ob sie sich vor der Befragung fürchtete. Nein, das glaubte sie eigentlich nicht. Jedenfalls fürchtete sie sich nicht mehr davor, als sie sich zurzeit vor allem anderen ängstigte. Ihre Hände zitterten zwar, aber das schien gegenwärtig ein Dauerzustand zu sein. Folglich würde sie nicht sagen, dass sie Angst hatte. Sie reagierte lediglich übertrieben angespannt auf jedwedes Geschehen: auf das Telefonklingeln, das Läuten an der Tür, die Briefe in der Post. Ein Mann, hatte Neil gesagt, ein alter Mann, ungefähr so alt, dass er ihr Vater sein könnte. Kate hatte sich das Hirn zermartert - ohne Erfolg. Sie war vorsichtig. An der Haustür legte sie stets die Kette vor, ließ niemanden ins Haus, den sie nicht kannte. Sie kam zurecht. Beinahe jedenfalls.
Kate war froh, dass sie gefeuert worden war, denn mit der Arbeit wäre sie ganz gewiss nicht zurande gekommen. Das Einzige, was sie momentan halbwegs geregelt bekam, war, morgens aufzustehen, die Post durchzusehen und danach Fernsehen zu gucken, bis Neil zu Hause war. Das musste vorerst reichen. Es würde reichen, bis sie diese Geschichte aufgeklärt hatten.
Kate hielt sich wacker. Sie machte ihre Sache richtig gut. Neil saß oben auf der Publikumsgalerie und beobachtete seine Frau ihre Aussage in der Untersuchung zum Todesfall Harriet Fox zu Protokoll gab. Sie hatte das dunkellila Wickelkleid an, das sie bei Hatties Trauerfeier getragen hatte, und sah wunderschön und ernst aus. Auf die Fragen antwortete sie mit einer klaren, kühlen, ruhigen Stimme, die kaum zitterte. Er konnte sehen, dass sie den Tisch vor sich so fest umklammerte, dass ihre Fingerknöchel weiß waren. Aber das würde niemandem sonst auffallen. Alle glaubten, hier säße eine kompetente, sensible Frau, die ihre Aussage zu einem entsetzlichen Vorfall machte, bei dem sie Zeugin geworden war.
Jetzt führte der Vorsitzende Richter sie durch den entscheidenden Moment, den Moment, in dem Hattie vor die U-Bahn stürzte. »Wie nahe standen Sie bei Miss Fox?«
»Nahe, vielleicht einen guten halben Meter entfernt. Sie hatte zwischendurch ihre Hände auf meiner Schulter.«
»Können Sie das genauer erklären?«
»Sie stand vor mir und packte meine Schultern mit beiden Händen. So.« Kate machte es vor, indem sie die Arme ausstreckte.
»Und hat sie etwas zu Ihnen gesagt?«
»Ja.«
Die gute Kate, dachte Neil. Sie beschränkte sich darauf, die Fragen zu beantworten, mehr nicht. Sie war sehr beherrscht und vorsichtig, und sie beschrieb ausschließlich das, was wirklich passiert war.
»Und was hat sie zu Ihnen gesagt?«
»Sie sagte: ›Wir haben etwas Furchtbares getan.‹«
In Neils Nähe sog jemand hörbar die Luft ein. Er blickte sich um, konnte aber nicht erkennen, wer es gewesen war. Auf der Galerie saßen eine Menge Leute: Fans von Hatties Fernsehserie vielleicht oder einfach
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