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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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liegen wie tot da. Dann schalte ich den Alarm aus und überprüfe den Bewegungsmelder. Es ist der für die Nordseite der Villa. Ich blicke auf Monitor siebzehn. Nichts. Doch. Da. Das Haar von Enrico Gonzales. Er hat sich gegen die Wand gepresst. Langsam bewege ich die Kamera, ein Stückchen nur, bekomme den gesamten Kopf zu fassen, doch Gonzales scheint das Surren der Kamera zu hören, denn er dreht sich um. Sieht direkt zu mir. Dann macht er wieder seine hässliche Geste. Zugleich bemerke ich eine Bewegung auf Monitor dreizehn. Da läuft einer durchs Bild. Über den Rasen. Das ist Kuttner. Ich höre von drinnen ein Geräusch, mein Blick fällt auf Monitor elf, da, draußen, vorm Fenster zum Lebzimmer, da ist etwas im Weg, da versperrt etwas die Sicht, das sind Streben einer Leiter, da will jemand hochklettern. Wie kann das sein, denke ich, wie kann jemand dort eine Leiter hochklettern, was ist mit dem Bewegungsmelder vor der Lebzimmerfront? Sie greifen an. Wochenlang haben sie mich eingelullt, jetzt greifen sie an. Auf Monitor acht: Wischnewski. Gonzales ist verschwunden, Kuttner klettert die Leiter hoch, Wischnewski drischt mit einem Vorschlaghammer auf ein ehemaliges, jetzt zugemauertes Fenster ein, offenbar versucht er, ein Loch hineinzuhauen, um eine Sprengladung anzubringen.
    Vorm Haupteingang steht plötzlich der Zwerg. Ich hätte ihn beinah übersehen. Der Zwerg. Also doch. Es gibt ihn. Ich hatte mich nicht getäuscht. Er gehört zu ihnen. Ist er ein Opfer wie sie? Ist er ein rekrutierter Söldner? Wer ist er? Sein Gesicht ist schwarz bemalt, er trägt dunkle Kleidung, und ich verstehe sofort: Kuttner, Gonzales und Wischnewski wollen mich nur ablenken, der Hauptangriff gilt dem Eingang, der Tür, dem Teil, der am leichtesten zu knacken ist, denn dort, neben dem Zwerg, liegen Sprengladungen. Ich drücke den Flutlichtschalter. Der Park flammt auf. Die Männer zucken zusammen. Gonzales winkt zum Rückzug. Ich greife mein Gewehr, öffne das Fenster und drücke ab. Der Knall verfehlt seine Wirkung nicht. Ich hechte zurück zu den Monitoren. Sie fliehen. Auf Monitor sieben sehe ich eine große Leiter, die über Mauer und Stacheldraht ragt. Sie sammeln sich, klettern hinaus und verschwinden.
    Ich rief sofort Marc Antonius an. Innerhalb kürzester Zeit war er bei mir. Er brachte zwei Männer mit, die sich gleich, noch in derselben Nacht, um die Bewegungsmelder kümmerten und die Leiter abbauten. Die Bluthunde waren nur betäubt. Sie wachten auf und wankten wieder in ihre Hütten. Ich machte kein Auge zu in dieser Nacht. Genau das ist ihr Ziel. Mich zu zermürben. Meinen Rhythmus zu stören. Dafür zu sorgen, dass ich keinen Schlaf finde. Die Aktion meiner Feinde hat mir gezeigt, dass ich mich nicht einlullen lassen darf. Dass sie es zum Beispiel mühelos geschafft haben, meine Bewegungsmelder lahmzulegen! Hätten sie nicht den einen Bewegungsmelder an der Nordseite des Hauses übersehen, wären sie unbehelligt zur Tür gelangt; dann hätten sie dort mit einer Sprengung die Tür weggerissen; dann wären sie schon im Vorraum gewesen; dann hätten sie in Ruhe neue Sprengladungen anbringen können; dann … Plötzlich hatte ich das Gefühl, Gonzales sei absichtlich auf den Bewegungsmelder getreten. Vielleicht wollten sie mir nur zeigen, was möglich war. Jetzt nicht den Kopf verlieren. Für den Augenblick war ich sicher. Ich wollte genau rekapitulieren, was geschehen war. Meine Kameras filmen nicht nur, sie speichern auch. Ich schaute mir die Bänder der entscheidenden Stunden an. Um kurz nach eins, fast genau in dem Augenblick, in dem ich eingeschlafen war, eine erste Bewegung am Rand der Mauer: Fleischstücke fliegen. Beim Hinüberklettern erfasst die Kamera die Gesichter.
    Tage, Wochen, Monate. Es geht mir gut, ja, wirklich, es ist alles in Ordnung. Ich kann mich ablenken. Ich muss nicht nachdenken. Ich glaube nicht an das Konzept Freiheit. Meine Unfreiheit habe ich selbst gewählt. Meine Unfreiheit beschränkt sich nur darauf, dass ich mein Haus nicht verlasse. Ansonsten kann ich tun, was ich will. Aber weshalb sollte ich mein Haus verlassen wollen? Was will ich draußen? Ich habe hier alles, was ich brauche. Weshalb ziehen sich Menschen freiwillig in Klöster zurück? Es muss einen Sinn haben, dass der Eremit die Einsamkeit sucht. Es ist der Schmutz der Welt, den er meidet. Es geht mir gut, wirklich. Ich habe mit der Zeit das Interesse am Netz verloren. Die Flut der neuen Eindrücke ist mir zuwider. Unmerklich hat

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