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Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
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hat auch nach dem Tod seiner Frau sehr oft Schluckauf bekommen und versucht, den Schluckauf mit allen möglichen Tricks zu bekämpfen. Aber die helfen ja alle nicht, hat Karl gedacht, denn der Schluckauf geht erst vorbei, wenn er vorbeigehen will, und nicht eher, da kann man sich auf den Kopf stellen, aber weil ein Schluckauf unangenehm ist, klammert man sich verzweifelt an jede Möglichkeit, den Schluckauf irgendwie loszuwerden. Und genauso wie beim Schluckauf ist es auch bei der Traurigkeit, so viel man macht, es hilft nichts, sie geht erst vorbei, wenn sie vorbeigehen will.
    Am Montag saß Bischoff im Hirschen . Die Männer palaverten. Karl hörte kaum zu, ihm war heiß. Von Tag zu Tag war seine Angst gewachsen: Prozess, Formalitäten, Gespräche, Geld, das er verlieren würde. Warum, hatte er sich immer wieder gefragt, warum hat er so was angefangen? Und jetzt wurde das Gefühl so stark, dass er nicht mehr an sich halten konnte. Er musste endlich darüber reden. Mit irgendjemandem. Wenn nicht mit seinen Freunden hier, mit wem dann?
    »Ich hab einen Fehler gemacht«, sagte Bischoff plötzlich wie aus dem Nichts, ausgesprochen laut.
    Man sah ihn an.
    Überkinger: »Mensch, Karle, sagst du auch mal was?«
    Bischoff sagte, er habe einen Anwalt beauftragt, Klage einzureichen gegen die Bundesrepublik Deutschland, um zu verhindern, dass eine Machbarkeitsstudie zum Metrorapid in Auftrag gegeben werde.
    Schweigen.
    Überkinger fasste sich als Erster: »Mensch, sag mal, bist du verrückt geworden?«
    Hayer sagte: »Du wirst das verlieren!«
    Dorngartner fügte hinzu: »Schon mal was vom Streitwert gehört? Das Honorar richtet sich nach dem Streitwert. Wenn du verlierst, dann verlierst du nicht den Prozess, dann verlierst du dein Haus! Dann verlierst du alles, was du hast!«
    Bischoff schwieg.
    »Rückgängig machen, annullieren!«, rief Hayer.
    »Ist kein Problem«, sagte Dorngartner. »Das geht noch.«
    Natürlich, dachte Bischoff, das ist es, alles rückgängig machen. Warum nicht? Das ist vollkommen lächerlich, was ich da will, ja, alles rückgängig machen. Sofort. Ja, das sollte ich. Vielleicht muss ich ein paar Hundert Euro Anwaltskosten oder Strafe zahlen. Alles kein Problem. Aber ich könnte so weiterleben wie gewohnt.
    Alle nickten.
    Alle grunzten.
    Jemand klopfte Karl Bischoff auf die Schulter.
    Und das war der Augenblick, da sich alles entschied.
    Der ihm auf die Schulter klopfte, war der Überkinger. Der Überkinger saß immer direkt neben dem Karl. Es hatte nur ein aufmunterndes, harmloses Schulterklopfen sein sollen. Ein Schulterklopfen, das ihm sagen sollte, Karle, das kriegen wir schon wieder hin, das wird schon wieder alles so, wie es mal war. Aber der Überkinger übertreibt bei allem, was er macht. Er übertreibt bei seinen Kriegsgeschichten oder wenn er von seinem Geld oder von Frauen erzählt. Und weil er in allem übertreibt, was er macht, war sein Schulterklopfen eher ein Schlag gewesen, so ein Schlag, den man jemandem auf den Rücken haut, der sich verschluckt hat. Karl Bischoff ruckte ein Stück nach vorn und verschüttete Bier. Er spürte den harten Schlag noch Sekunden, nachdem der Überkinger sich wieder fortgedreht hatte. Karl schaute den Überkinger an und dachte plötzlich: Nein! Einfach so. Nein. Das war alles. Dieses eine Wort in seinem Kopf: Nein. Und aus irgendeinem Grund war da eine tiefe Ruhe in ihm. Nein, dachte er. Und das sagte er dann auch, laut und deutlich und ganz plötzlich, es klang wie ein Niesen: »Nein!«
    Die Mienen froren ein. Es war nur eine Sekunde, aber alles stand still in dieser Sekunde. Es war eine von den Sekunden, in denen sich etwas grundlegend ändert. Solche Sekunden gibt es nicht viele im Leben. In diesen Sekunden ist alles außer Kraft gesetzt, was man kennt, jedes Gesetz, jede Regel. Karl Bischoff war dabei, etwas zu tun, was ein Mann namens Karl Bischoff eigentlich niemals getan hätte. Er hatte sich selbst überholt, er war sich selbst über den Kopf gewachsen.
    »Wie, nein?«, fragte der Hayer. »Was meinst du, nein?«
    »Es bleibt dabei«, sagte Karl. »Ich klage. Ich bin im Recht. Und wenn ich untergehe, dann soll’s so sein.«
    »Ja, aber du hast doch eben noch gesagt, du …«
    »Und basta!«, sagte Bischoff.
    Schweigen.
    Und dann kam, was Karl am wenigsten erwartet hätte.
    »Verdammt noch mal!«, rief Dorngartner Fred und sah Bischoff mit großen Augen an. Und dann knallte er das Bierglas auf den Tisch, dass es überschwappte. »Verdammt noch mal!

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