Irgendwann ist Schluss
Wir lassen dich nicht hängen«, sagte Dorngartner. »Wir helfen dir!«
Die anderen nickten.
Vor allem Dorngartner glühte. »Wir … wir gründen eine … eine Bürgerinitiative!«, rief er.
»Genau!«, sagte Überkinger. »Bürgerinitiative Metrorapid!«
»Auf Karl!«, riefen alle durcheinander und rissen die Bierkrüge wieder hoch. »Auf Karl!«
Zum ersten Mal, dachte Bischoff, zum ersten Mal, seit ich denken kann, sagen sie Karl zu mir, und nicht Karle.
Ein paar Wochen später erstattete Karl Bischoff als Vorsitzender der Bürgerinitiative Metrorapid auf der Grundlage von Recherchen der Referendarin Kathrin Myrrhe und mit Hilfe seines Anwalts Dr. jur. Alfred Plummer »Strafanzeige wegen des Verdachts der Veruntreuung öffentlicher Gelder nach §266 StGB bei der Vergabe von Planungsaufträgen für den Metrorapid Bayern – Baden-Württemberg – Hessen.« Darüber hinaus, so stand es in seinem Brief, den man für ihn aufsetzte und den er unterschrieben hatte, seien bereits im Vorfeld jede Menge Gelder in immens kostspielige Werbefeldzüge für den Metrorapid gesteckt worden, was, so die Bitte an die Staatsanwaltschaft, »im Nachhinein« zu überprüfen sei. Weiterhin habe ein Staatssekretär einigen Kommunen offen gedroht: Er werde ihnen Fördermittel entziehen, sollten sie sich gegen den Bau des Metrorapid aussprechen; dies käme dem Tatbestand einer »erpresserischen Anmaßung« gleich. Und zu guter Letzt wiesen die Beschwerden dreier Planungsingenieurbüros darauf hin, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe gegeben habe. Bischoffs Brief endete mit den Worten: »Wir bitten Sie, soweit es in den Befugnissen Ihrer Behörde steht, dringend zu untersuchen, inwieweit Sie als Staatsanwaltschaft nach möglichst schneller Überprüfung des Anfangsverdachts mit dazu beitragen können, die Verschwendung weiterer Gelder für das ›nicht realisierungswürdige‹ Projekt ( BRH ) zu vermeiden. Mit freundlichen Grüßen und der Bitte um baldige Antwort, Karl Bischoff.«
Und dann tauchte Nina bei ihrem Vater auf. Zusammen mit Henry Böttcher. Bischoff musste vom bevorstehenden Prozess erzählen, und er schöpfte keinen Verdacht aus der Tatsache, dass Henry Böttcher währenddessen die eine oder andere Notiz machte. Bischoff wurde erst stutzig, als nach etwa einer Stunde ein Fotograf aufkreuzte, mit drei Kameras vor seinem Bierbauch, und Karl nach draußen bat, ins Licht, vor die weiße Wand des Hauses, um Fotos zu machen. »Wir heißen schließlich BILD -Zeitung«, brummte Henry. »Was meinen Sie, wie viele Storys im Papierkorb landen, nur weil wir keine guten Bilder haben.«
»Aber mich kennt doch niemand«, sagte Bischoff.
»Das lassen Sie mal meine Sorge sein.«
In einem Fotoshooting musste sich Karl Bischoff vor die weiß gestrichene Mauer seines Hauses stellen und allerhand Grimassen schneiden, mal wild entschlossen, mal wütend, er musste mit den Fäusten fuchteln wie ein Boxer. Vielleicht, sagte Henry, werde er die Story verwenden können. Bischoff zuckte mit den Achseln.
Erst später erzählte Henry ihm ausführlich, wie er es angestellt hatte, Bischoff in die Zeitung zu bringen. Mittels Bildtelefon und digitaler Computertechnik wurden täglich sämtliche Außenredaktionen der BILD -Zeitung zu einer Konferenz zusammengeführt. Aus allen möglichen Städten waren Redakteure zugeschaltet. Sie mussten Schlagzeilen und Bilder auf den Datentisch werfen. Nur wenige kamen überhaupt in die engere Auswahl für die Titelseite, die meisten versanken wieder im Nichts oder auf den hinteren Seiten. Böttcher wartete auf den Tag, an dem die Stimmung günstig war. Auf den Tag, an dem sich bei den übrigen Redakteuren nicht viel tat. Der Chefredakteur gähnte, was Henry als gutes Zeichen deutete. Endlich meldete er sich und umriss in fünf Sätzen, die er sich sorgsam zurechtgelegt hatte, die Identifikationsfigur, den Rentner Karl Bischoff, dessen Bestreben, drei Bundesländer – der Einfachheit halber gleich die Bundesrepublik Deutschland –, wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder zu verklagen. Der Chefredakteur zuckte, was Henry darin bestärkte, fortzufahren. Er drückte die Taste, die für alle sichtbar mit einem Schlag ein Bild auf den Monitoren erscheinen ließ. Das Bild zeigte Karl Bischoff, wie er mit gerunzelter Stirn, geöffnetem Mund und erhobenen Fäusten wie ein Boxer vor dem Kanzleramt stand und zur Kanzlerin blickte, als wolle er gerade zuschlagen oder sie bedrohen oder als rufe er ihr gerade
Weitere Kostenlose Bücher