Irgendwann ist Schluss
zu klagen, die schon steht, hat keinen Sinn; wenn man schon klagt, dann gegen ein geplantes Projekt, also eine Verhinderungsklage. Fünftens: Solche Klagen sind nur selten erfolgreich; also kann man’s auch gleich bleiben lassen. Sechstens: Ich verstehe Ihren Unmut und will mich persönlich dafür einsetzen, dass so etwas in Zukunft nicht wieder vorkommt.
Durch die Hinweise des Abgeordneten hatte Karl zwei Anhaltspunkte, die ihm weiterhalfen. Zum einen brauchte er einen Anwalt; zum anderen einen Klagegegenstand, also etwas, wogegen man würde vorgehen können. Er setzte sich an den Computer und kam auf Umwegen zur Homepage des Bundesrechnungshofs. Natürlich hatte er schon mal was vom Bundesrechnungshof gehört. Eine Behörde, die der Bundesregierung sozusagen auf die Finger schaut. Die prüft, wofür unsere Steuergelder verwendet werden. Komisch, dachte Karl: Zwischen verwendet und verschwendet liegt nur ein sch. Sogleich fragte er sich, wie viele Millionen es jährlich kostet, den Bundesrechnungshof selbst zu finanzieren. Ist es nicht die unglaublichste aller Geldverschwendungsarten, wenn ein Staat Geld für eine Institution aufwendet, die kontrolliert, wie viel Geld vom Staat verschwendet wird? Aber über solche Dinge nachzudenken, das ist immer wie der Blick in einen Strudel. Das zieht einen runter, bis man nichts mehr sieht. Karl las die Berichte des Bundesrechnungshofs und wusste: Hier war er richtig. Es ging immer um sinnlos ausgegebenes Steuergeld. Der Bundesrechnungshof kritisierte unter anderem die Steuersubventionen für die Personenschifffahrt; die 6,8 Millionen Euro Steuerausfall, die auflaufen, weil Tabakwaren für Beschäftigte der Tabakindustrie immer noch steuerfrei sind; das Blaue Netz, geplant vom Land Brandenburg, ein Verkehrsprojekt, das den Bund ca. 1,6 Milliarden Euro kosten soll; die 19 Millionen Euro, die der Bund jährlich der Deutschen Dienststelle zur Verfügung stellt, die bis heute für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen Deutschen Wehrmacht zuständig ist, ein Betrag, der zurückging auf eine Vereinbarung von 1951. Jetzt noch?, dachte Karl. Wer soll denn da benachrichtigt werden? Und wen soll man noch finden? Und Karl stellte sich vor, wie ein Mann vor der Tür vom Überkinger Ludwig steht und ihm sagt, man habe die Gebeine seines Vaters gefunden, und wie der Überkinger Ludwig fragt, woher man das wissen will, und wie man ihm von der Hundemarke erzählt, und wie der Überkinger sagt, aber ich habe den Vater schon längst beerdigt, für mich, im Innern, und wie man ihm sagt, nein, er, der Überkinger, müsse als letzter Hinterbliebener die Gebeine entgegennehmen, und wie der Überkinger denkt, im Vaterland geboren, fürs Vaterland gefallen, vom Vaterland ausgebuddelt, im Vaterland wieder begraben, aber er weint nicht, dazu ist er zu alt inzwischen und zu trocken um die Augen rum.
Der Bundesrechnungshof kritisierte unter anderem auch den geplanten Bau der Metrorapidstrecke München – Stuttgart – Frankfurt. Der Metrorapid wurde als »unrentabel und überflüssig« bezeichnet, der Bau der Strecke als »nicht realisierungswürdig«. Hauptkritikpunkt war aber eine sogenannte »Machbarkeitsstudie«, die von der Regierung in Auftrag gegeben werden und noch einmal prüfen sollte, inwieweit der Bau des Metrorapid doch »realisierbar« sei. Die Machbarkeitsstudie allein würde 150 Millionen Euro kosten. Der Bundesrechnungshof kritisierte diese Studie, sie sei »nicht haltbar«. »Unabhängige Machbarkeitsstudien vom wissenschaftlichen Beirat des Bundesverkehrsministeriums und der Transnet Gewerkschaft« hatten uneingeschränkt den Bau des Metrorapid »abgelehnt«. Aus diesem Grund, hieß es, sei es nicht nachvollziehbar, dass vom Verkehrsministerium 150 Millionen Euro allein für die Planung der Metrorapid-Strecke ausgegeben werden sollten, 150 Millionen Euro, die, da der Metrorapid – nach den Erkenntnissen des Bundesrechnungshofs – ohnehin nicht gebaut werden würde, aller Voraussicht nach »für den Papierkorb« seien. Trotzdem sah es so aus, als wolle der Bund nicht von seinem Vorhaben abrücken und die Machbarkeitsstudie weiterverfolgen.
Und dann läutete das Telefon. Karl nahm ab. Es war seine Tochter Nina. Ob er sie besuchen wolle?, fragte sie ihn. Morgen Abend. Sie arbeite bis sechs. Danach könnten sie was essen gehen. Bischoff sagte zu und strahlte. Dass sie ihn einlud, war ungewöhnlich. Wenn ich schon in die Stadt fahre, morgen,
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