Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Irgendwann ist Schluss

Irgendwann ist Schluss

Titel: Irgendwann ist Schluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Orths
Vom Netzwerk:
Leone gegen Deutschland wegen zwangsweiser Verabreichung eines Brechmittels. Polizisten hatten ihn dabei erwischt, wie er zwei Drogenpäckchen aus dem Mund nahm und verkaufte. Bei der Festnahme verschluckte er ein drittes. Im Krankenhaus wurde ihm durch eine Röhre ein starkes Brechmittel in die Nase eingeflößt. Das stellte einen Verstoß gegen das Verbot der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung dar. Selbst die Ärztekammer sagte, dass Deutschland als einziges Land noch an der veralteten Brechmittelpraxis festhalte, was eigentlich unverständlich sei, da das geschluckte Päckchen ja irgendwann sowieso ganz natürlich wieder ausgeschieden werden würde.
    Am allerheftigsten aber klagte Deutschland gegen sich selbst. Das heißt, die EU klagte, aber da Deutschland Mitglied der EU ist, klagte Deutschland in gewisser Weise gegen sich selbst. Wenn man die Liste durchsah, hätte man meinen können, die EU tue nichts anderes als gegen Deutschland zu klagen, man hätte meinen können, der ganze Sinn der EU bestehe überhaupt nur darin, gegen Deutschland zu klagen, und Bischoff fragte sich, weshalb Deutschland überhaupt in der EU war, wenn die EU doch unablässig und pausenlos gegen Deutschland klagte? »Die Europäische Kommission hat heute in Brüssel beim Europäischen Gerichtshof eine Klage gegen Deutschland eingereicht«, begannen die meisten Klage-Texte. Die EU klagte gegen Deutschland wegen Liberalisierung der Energiemärkte, wegen Pfandpflicht für Einweg-Getränkepackungen, wegen Nichteinhaltung von PCB -Richtlinien, wegen Gensaat, wegen Privatisierung von VW , wegen Nichteinhaltung des Stabilitätspakts, wegen der fälschlichen Bezeichnung »Parmesan« für Käse, der kein original »Parmigiano-Reggiano«-Käse war, wegen Nichtumsetzung der Gas-Richtlinie, wegen Nichtumsetzung der Biopatentrichtlinie, wegen diskriminierender Bestimmungen zur Eigenheimzulage, wegen zu niedriger Besteuerung des Feinschnitts (Tabak), wegen Nichtumsetzung der Datenschutzrichtlinie, wegen falscher Kennzeichnung von Knoblauchkapseln.
    Was die EU kann, dachte Karl, kann ich schon lange. Und als Karl Bischoff zum ersten Mal vor dem Gerichtsgebäude stand, wusste er genau, dass er den Prozess gewinnen würde, weil vor dem Gerichtsgebäude eine Statue mit der Göttin Justitia stand, und diese Göttin hatte eine Waage in der Hand, und wenn Karl ein Gebäude betritt, das von einer Göttin mit Waage bewacht wird, weiß er, dass er nicht verlieren kann. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg.
    Bei der Bürgersprechstunde waren jede Menge Leute vor ihm dran. Es gab ein Wartezimmer, in dem Zeitschriften auslagen. Wie beim Arzt. Bischoff griff wahllos nach einer und las einen Bericht über einen Schwergewichtsboxer, der in der Nacht einen Erstickungsanfall bekommen, in Panik wild um sich geschlagen und dabei die Frau, die neben ihm lag, getroffen und – durch die Wucht des Schlags – ins Jenseits befördert hatte, und man spekulierte nun, ob diese Version erstunken und erlogen war und es sich in Wahrheit um ein Eifersuchtsdrama gehandelt hatte, aber man konnte keine genauen Schlüsse ziehen. Der Boxer war sehr beliebt in der Öffentlichkeit. Man wollte ihn nicht voreilig verurteilen. Bischoff legte die Zeitschrift weg. Dann wurde er aufgerufen. Das Büro war weder groß noch hell. Der Abgeordnete reichte Bischoff die Hand, lächelte freundlich, wies auf einen Stuhl und fragte Bischoff, was er für ihn tun könne. Bischoff sagte, er habe vor, die Regierung zu verklagen. Der Abgeordnete nickte bedächtig und schaute auf einen weit entfernten Punkt an der Wand hinter Bischoff. Der redete weiter: Das Atomkraftwerk, die Brücke, Dorngartner Fred, seine eigenen Überlegungen, er fasste zusammen, was er herausgefunden hatte, und sagte dem Abgeordneten, dass er Zeit seines Lebens seine Partei gewählt hätte und nun jemanden bräuchte, der ihm helfen würde. Der Abgeordnete sah müde aus, er strich sich, während Bischoff redete, ab und zu mit Daumen und Zeigefinger über die Augen. Schließlich lächelte er doch noch, als er Bischoff ein paar Sätze hinwarf, aufstand und sagte: »Es warten leider noch andere Menschen.« Als Bischoff schon wieder draußen stand, notierte er, was der Abgeordnete ihm gesagt hatte. Erstens: Ich bin kein Anwalt. Zweitens: Meine Partei ist gerade in der Regierung, ich werde natürlich nicht gegen meine eigene Partei klagen. Drittens: Es gibt einen Unterschied zwischen Bund und Ländern. Viertens: Gegen eine Brücke

Weitere Kostenlose Bücher