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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Mattheis
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war die Axt eingefallen, die in dem großen Raum neben der |107| Wäscheleine an der Wand lehnte. Ich genoss das Gewicht des Stahls, der das Werkzeug zu Boden zerrte, und die Kraft meines Arms, die eben das verhinderte. Meine Finger fuhren über das kalte Metall, fühlten die kleinen Einkerbungen an der Schneide, glitten zurück über das wärmere Holz zum Griff. Schwer bewaffnet ging ich nach oben zurück ins Schlafzimmer.
    Als die anderen drei mich sahen, hielten sie inne. Doch ich gab die Waffe nicht aus der Hand. Ich hatte die Axt gefunden, ich wollte derjenige sein, der den ersten Schlag ausführte. Ich grinste und Leo, Schenz und Sam traten zur Seite.
    Die Axt fuhr in die Höhe und dann sauste sie hinab in das alte, widerspenstige Holz des Schranks. Es knackte. Holzsplitter schossen wie Funken durch die Luft.
    »G-geil!«, schrie Sam.
    Doch noch war nichts geöffnet. Die Axt hatte sich verkeilt, ich zog nach unten, zog nach oben, zerrte mit beiden Händen, bis sich der Stahl aus dem Holz löste. Dann fiel das Beil zum zweiten Mal herab und spaltete das dunkle Holz. Ein drittes Mal.
    »Mach sie fertig!«, brüllte Leo.
    Doch die Löcherschlagmethode nahm zu viel Zeit in Anspruch. Das Loch auf Höhe meiner Schulter war gerade einmal faustgroß. Besser das Schloss zerstören. Ich holte seitwärts aus, sodass die Schneide nun quer zu den Holzfasern auftraf. Ich musste das kleine Schloss treffen. Einmal, zweimal prallte der Stahl des Beils auf das Metall des kleinen Schlosses. Es verbog |108| sich, Holz rundherum splitterte. Noch einmal. Noch einmal Schwung holen und treffen. Ich schwitzte, Staub klebte mir am Gaumen. Noch einmal. Ich traf. Das Schloss brach nach innen weg, die Tür war   … Aber ich hörte nicht auf. Ich war noch nicht fertig. Immer wieder sauste das Beil auf das Holz nieder, als wollte ich die Tür nun für ihren Widerstand bestrafen. Am Ende war die dunkle Schranktür mit vielen Löchern übersät, aus denen das helle innere Holz wie Blut herausleuchtete.
    Es war Leo, der meinen Unterarm packte und sagte: »Es reicht. Hör mal auf, der Schrank ist offen.«
    Keuchend ließ ich die Axt fallen.
    Mir war ein bisschen schwindlig. Ich hatte einen Schrank aufgebrochen. Soweit ich mich mit rechtlichen Dingen auskannte, hatten wir soeben die Grenze vom Hausfriedensbruch zum Einbruch überschritten. Doch für was? Alles, was wir sahen, war Stoff. Bettwäsche, sauber zusammengelegt und auf mehrere Fächer verteilt: Kissenbezüge, Deckenbezüge, Laken mit furchtbar altmodischen Mustern, Blümchen, Karos und wieder Blümchen. Es roch nach Moder und Lavendel und Schimmel.
    Schenz begann, die Tücher aus ihren Fächern herauszuziehen und auszuschütteln, in der Hoffnung, dass irgendwo zwischen ihnen Geldscheine versteckt waren. Sam, und da hätte man vielleicht schon merken können, dass mit ihm was nicht stimmt, nahm die Bettlaken, die Schenz herausgerissen hatte, faltete sie und legte sie ordentlich auf einen Stapel. Jetzt erst fiel mir |109| das Chaos auf, das wir in dem Zimmer angerichtet hatten. An der Wand lehnte eine aufgeschnittene Matratze, in der ein Küchenmesser steckte. Der Lattenrost des Bettes war durchgebrochen, daneben lag verstreut der Inhalt einer Schublade: Nippes, Zettel, billiger Schmuck. Vor der Zimmertür türmte sich ein Stoffberg, der beständig wuchs, und alles war mit Holzsplittern übersät. In der Ecke lag eine Axt. Staub wirbelte durch die Luft, vier Jungs keuchten und draußen schien die Sonne, Spatzen zwitscherten und irgendwo dort in der Nachbarschaft bügelte wahrscheinlich wieder diese Frau die Wäsche ihres Mannes, der am Wochenende den Rasen mähen würde.
    »Hört mal auf!«, sagte Leo. »Stopp mal. Lass mal. Lasst das mal sein. Das bringt nichts.«
    Die beiden sahen ihn an, als hätten sie gerade erfahren, dass Außerirdische tatsächlich die Pyramiden errichtet hatten. Sam ließ ein mit lila Bergblümchen gemustertes Laken fallen.
    Leo antwortete nicht. Stattdessen ging er zurück zum Türrahmen, wo der Stuhl lag, nachdem ihn Schenz dorthin geschmissen hatte. Er hob ihn auf, brachte ihn zurück und stellte ihn vor den Schrank. Eine von Küchenresten und Fett schmierige Plastikfolie überzog die Sitzfläche. Leo wischte sich die klebrigen Finger an der Hose ab, dann stieg er auf den Stuhl. Er griff in das oberste Fach des Schranks, das kleiner war als alle übrigen. Dort lag eine Plastiktüte. Er lugte hinein und wandte seinen Kopf zu uns. Er grinste, er wollte etwas

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