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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Mattheis
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sagen, doch aus seiner Kehle kam nur ein Glucksen. Es |110| war etwas in dieser Plastiktüte, es musste etwas drin sein.
    Leo stieg vom Stuhl herab und hielt die Tüte in der Hand. Sie war nicht so groß wie eine Einkaufstüte, wie sie an Supermarktkassen verkauft werden, eher hatte sie die Größe einer Damenhandtasche. Wir warteten darauf, dass er uns endlich den Inhalt präsentierte. Aber Leo hielt die Tüte fest mit beiden Händen umklammert, sah uns kurz an – und ging weg. Er verließ einfach das Zimmer.
    Sam zog sich jetzt endlich sein Bandana vom Mund. »Leo! W-wart mal!«
    Aber Leo wartete nicht. Er lief in die Küche, wir ihm hinterher. Da tat er etwas wirklich Eigenartiges: Er nahm einen der verschimmelten Kekse, die auf diesem Tisch dem Verfall ausgesetzt waren, hielt ihn mit ausgestreckter Hand in die Höhe und sagte: »Wer den hier isst, darf in die Tüte schauen.«
    »Was soll der Scheiß?«, fragte ich. »Lass uns reinschauen.«
    Leo tat, als hätte er mich nicht gehört. »Wer reinschauen will, muss den Keks essen.« Er hielt ihn uns der Reihe nach vor die Augen. Der Keks war zur Hälfte mit grünem, pelzigem Schimmel überzogen.
    »Na los«, sagte er wieder. »Wer isst ihn?«
    Niemand von uns dreien sagte etwas.
    »G-gib die Tü-Tüte her! Ist nicht witzig.«
    »Ich soll die Tüte hergeben? Ich geb sie dir. Ist überhaupt kein Problem. Ich geb sie dir sogar gerne. Aber erst isst du den Keks.«
    |111| »G-g-gib die Tüte her«, sagte Sam wieder. Ich pflichtete ihm bei. Schenz sagte nichts.
    »Kein Problem, Sam. Du kriegst die Tüte. Aber erst isst du den Keks.«
    »Na-na.«
    Was war in ihn gefahren? Er nervte echt. Sams Augen wurden größer, sie wanderten zwischen der Tüte und dem Keks hin und her.
    »Okay, Sam. Wir machen einen Deal: Du kriegst die Hälfte von der Tüte und musst dafür nicht den ganzen Keks essen. Du musst nur einmal beißen. Wie wäre das? Das ist ein verdammt gutes Geschäft: Einmal in einen schimmligen Keks beißen für die Hälfte von dieser Tüte. Ich sag dir natürlich nicht, was drinnen ist. Vielleicht ist gar kein Geld drinnen, vielleicht ist da bloß   …« Er warf einen Blick in die Tüte. »…   vielleicht ist da bloß eine Oma-Unterhose drinnen. Vielleicht aber auch eine Menge Geld   … Was meinst du?«
    Sam blickte beinahe hypnotisiert wie eine tanzende Schlange auf die Finger eines Flötenspielers.
    Plötzlich schnappte eine Hand nach vorne. Es war Schenz. »Verdammt, du Mongo, gib endlich die Tüte her!«
    Doch Leo war schneller und zudem größer und stärker als Schenz. Sein Arm fuhr blitzschnell in die Höhe, wo der kleinere Schenz die Tüte nicht erreichen konnte. Gleichzeitig packte er Schenz mit seinem anderen Arm am Kragen. Der schmächtige Schenz wich zurück.
    »Was?«, fragte Leo mit tiefer, herausfordernder Stimme. »Was? Was ist los? Hm? Was willst du?«
    |112| »Leo, lass ihn los«, bat ich.
    Er sah mich an. Er ließ Schenz tatsächlich los. Der sackte in sich zusammen und ging aus dem Zimmer.
    »Ist doch ein faires Geschäft, was Sam und ich da machen, oder?« Leo zwinkerte mir zu, als wolle er mir zu verstehen geben, dass alles nur Spaß sei, und wenn Sam den Keks tatsächlich äße, wir uns noch Jahre später darüber totlachen würden.
    »Leo, es reicht. Es ist nicht mehr witzig. Lass ihn einfach in Ruhe.«
    Doch er hatte sich schon wieder Sam zugewandt, der aus irgendeinem Grund die ganze Zeit über wie weggetreten war. Beide machten einfach dort weiter, wo sie aufgehört hatten. Leo schwenkte die Plastiktüte und nahm einen neuen, ähnlich verschimmelten Keks aus der Packung, um ihn Sam vor die Nase zu halten.
    Wieder sagte er: »Komm schon, einmal beißen und du kriegst die Hälfte.«
    Über Sams Schulter hinweg zwinkerte er mir zu, als suche er einen Verbündeten für sein behindertes Spiel. Und tatsächlich – ich konnte nicht anders, als zurückzugrinsen, obwohl es wirklich überhaupt nicht witzig war.
    »Nur einmal beißen.«
    Er überreichte Sam den Keks. Beinahe feierlich sah das aus. Sam sagte kein Wort, seine Bewegungen waren auf einmal so langsam wie die eines Reptils im Winter. Der Schimmelkeks lag in seiner Hand. Die pelzige Schicht berührte seine Haut. Langsam, fast wie in Zeitlupe bewegte er seine Hand in Richtung Mund, der bereits geöffnet war. Bevor er hineinbiss, roch er daran.
    |113| Plötzlich war Schenz wieder da. Er hielt die Axt in seiner Hand.
    »Wichser!«, schrie er. »Gib endlich die Tüte her!«
    Sam ließ den

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