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Irgendwann passiert alles von allein

Irgendwann passiert alles von allein

Titel: Irgendwann passiert alles von allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philipp Mattheis
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Unterführung viel zu dunkel für eine Sonnenbrille. Fast war sie an mir vorbeigegangen.
    »Sina!«, rief ich.
    Zwei große schwarze Brillengläser drehten sich in meine Richtung. Ihr Mund öffnete sich, und während |127| Dutzende Sandalen, Turnschuhe und Halbschuhe auf dem Beton klapperten, sagte sie langsam und in einem unglaublich gelangweilten Ton:
    »Ah, Joooo.«   …und das war wirklich die behindertste Art, meinen Namen auszusprechen.
    »Wo gehst du hin?«
    »Zum Schenziiii.« Die letzte Silbe dehnte sie irgendwie.
    »Zum Schenz?«, fragte ich und grinste noch immer, nun allerdings nicht mehr ganz so verschmitzt, sondern unsicher.
    »Ja, wohin denn sonst? Und duuu?«
    »Skaten«, antwortete ich. »Ich geh skaten.«
    »Krass, dass dir das nicht zu kindisch ist. Das machen doch lauter Zwölfjährige. Na ja, ich muss los. Ich bin eh schon spät dran. Bis irgendwann.«
    Sie ging weiter. Einfach so. Ich blickte ihr nach, der Stoff ihres schwarzen Kleides wippte bei jedem Schritt. Ich blieb stehen und stand noch immer, als die Menschen, die die S-Bahn ausgespuckt hatte, längst alle verschwunden waren. Was war das? Warum war da nicht mehr gewesen? Ich meine, noch vor zwei Tagen hatten wir telefoniert, über wirklich Intimes gesprochen, über das Haus, Schenz, das Geld. Und jetzt? Ich drehte mein Skateboard und schaute mir die Unterseite an. Als ich es vor einem halben Jahr gekauft hatte, war dort das Bild einer nackten Frau gewesen, die sich auf einer Mülltonne räkelte. Jetzt war ihr Oberkörper zerkratzt von den vielen Slides und außerdem voller Dreckspritzer. Was für Zwölfjährige. So etwas hatten bisher immer |128| nur die pseudoklugen Mädchen aus meiner Klasse gesagt, die, deren Freunde ein Auto hatten und die den ganzen Tag Hermann Hesse lasen. Ich stapfte die Treppen der Unterführung nach oben und warf mein Board auf den Asphalt. Ich griff in meine Hosentasche und holte einen Schein hervor. Es war Nachmittag, die Sonne schien, Leute gingen und kamen vom Einkaufen und zur S-Bahn . Ich nahm den Schein und hielt ihn mit beiden Händen in die Höhe, sodass er genau die Sonne verdeckte. Der blaue alte Mann mit der schwarzen Baskenmütze guckte aus seiner zweidimensionalen Welt heraus. In diesem Moment wehte eine Böe und ich ließ los. Der Schein flog in die Höhe, wirbelte um seine eigene Achse, fiel ein Stück und wurde noch einmal in die Höhe gerissen. Er segelte langsam zu Boden. Ich beobachtete ihn so lange, bis er den Asphalt erreicht hatte. Keiner der Passanten beachtete das Geld. Ich sprang auf mein Board und rollte den schmalen Weg zur Halfpipe.
     
    »Servus«, sagte Schenz und grinste mich mit seinem lila Auge an.
    »Was machst du bitte hier?«
    »Ich hänge hier halt rum und warte, bis jemand vorbeikommt.«
    »Sonst liegst du doch immer im Bett. Außerdem   … ich dachte, Sina wäre bei dir.«
    »Heute nicht. In letzter Zeit kriselt es etwas. Auf Bettrumliegen habe ich keinen Bock mehr. Ich fühle mich in letzter Zeit immer so« – er ballte die Faust und |129| schlug damit einmal in die Luft – »energiegeladen. Verstehst du? Endlich passiert hier was.«
    »Ist alles okay mit Sina?«
    »Ja, ja. Sie regt sich jetzt nicht mehr auf wegen der Kohle. Ich glaube sogar: Eigentlich steht sie drauf. Sie will es bloß noch nicht zugeben. Ich meine, weißt du noch, wie sie immer von diesem Thorsten mit seinem Golf GTI geschwärmt hat? Eigentlich ist sie doch genau auf solche Sachen scharf.«
    »Aber du hast keinen Führerschein und es dauert noch zwei Jahre, bis du ihn kriegst.«
    »Den Führerschein, ja. Aber wer sagt, dass ich einen Führerschein brauche, um Auto zu fahren?«
    »Woher willst du ein Auto kriegen? Meinst du, irgendjemand verkauft dir einen Wagen?«
    »Na, illegal halt. Weiß auch noch nicht, wie, aber das geht bestimmt irgendwie. Geht doch alles. Was meinst du, wie Sina schaut, wenn ich sie plötzlich mit dem Auto abhole? Ich wette, sie checkt’s überhaupt nicht mehr.«
    Ich zuckte mit den Schultern und stieg auf mein Skateboard. Tricks waren mir zu anstrengend und so fuhr ich nur die kleine Rampe auf und wieder ab. Schenz machte noch immer keine Anstalten aufzustehen. Er zündete sich eine Zigarette an.
    »Leo ist ein Angeber«, sagte er, nachdem er einige Züge in die Sonne geraucht hatte.
    »Er hat’s nicht so gemeint. Er ist ein bisschen ausgetickt, ich glaube, er hört die falsche Musik.«
    »Er hält sich für den Obergangster. Er meint, er kann einen auf Mafia machen und

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