Irgendwann werden wir uns alles erzählen
pressen sich von hinten auf meine Beckenknochen und wandern über die Hüften abwärts, hinab zu den Innenseiten meiner Schenkel. Dann schiebt er mit seiner ruhigen Kraft meine Beine auseinander. Ich stütze meine Arme auf die Fensterbank, um nicht zu fallen. Da kommt mir der Starez in den Sinn und wie er einmal aus dem Johannesevangelium zitiert und zu Alexej sagt: »Wenn das Weizenkorn in die Erde fällt und nicht erstirbt, so bleibt es allein; wo es aber stirbt, so bringt es viele Früchte.«
Und dann falle ich auf das Bett und in einen tiefen Rausch.
Nichts verwehre ich ihm, nicht einmal, als er mich vom Bett hebt und mir sagt, ich solle niederknien. Auch nicht, als er meinen Zopf um seine Hand wickelt und mir von oben zuschaut, wie ich tue, was er verlangt. Nun ist er es, der zittert. Bald werde ich siebzehn. Da war man früher eine Frau. Meine Großmutter gebar ihr erstes Kind mit siebzehn, so war das damals.
Weinen muss ich nun doch ein bisschen. Da hebt er mich auf und setzt mich auf die Bettkante. Ich sinke nach hinten und schließe die Augen und spüre die warme Feuchte seines Atems zwischen meinen Beinen, dann seine Lippen, seine Zunge – ich falle. Dann kommt ein Laut aus ihm wie von einem sterbenden Tier – ein wütendes, verzweifeltes Keuchen. Ich wage nicht, die Augen zu öffnen. Er packt meine Beine und drückt sie weit auseinander, er dringt in mich ein, stößt zu, immer schneller, immer heftiger, ich rutsche nach hinten, er hält meine Arme fest, er dreht mich auf den Bauch und schiebt mir ein Kissen unter das Becken. Ich verstehe das nicht, versuche mich umzudrehen, ich will sein Gesicht sehen, doch er legt seine schwere Hand in meinen Nacken und hält mich fest. Da schließe ich die Augen.
Kurz vor Mitternacht verlasse ich das Haus vom Henner mit meinem Koffer in der Hand. Zum Abschied nimmt er meinen Kopf zwischen seine Hände und küsst mich auf die Stirn. Dann legt er seinen Zeigefinger auf den Mund. Ich nicke ihm zu, nicht deutlich genug vielleicht, denn sein Blick, den ich im Rücken spüre, als ich gehe, hat nicht mehr die gewohnte Sicherheit. Da drehe ich mich noch einmal um und wiederhole die Geste, um die er bat.
Kapitel 6
AM MORGEN DANACH stehe ich vor dem Johannes auf. Er schlief schon, als ich kam, hat wohl gedacht, ich bliebe bei der Mutter über Nacht.
Ich legte mich vollständig angekleidet neben ihn. Zitternd, schwitzend. Mein Schweiß vermischte sich mit den Gerüchen des Henner; sein getrockneter Samen bildete rissige Inseln auf meiner Haut, die an diesen Stellen spannte. Ich hatte furchtbare Angst, Johannes könnte aufwachen, mich berühren und wissen, was geschehen ist, und doch konnte ich mich nicht entschließen, ihn abzuwaschen, diesen Duft. Ich schloss die Augen und atmete tief.
Schlafen konnte ich nicht.
Vergessen kann ich auch nicht.
Und nun die Morgensonne mit ihrem entlarvenden Licht; ich schleiche mich aus dem Zimmer, laufe die Treppen hinab ins Badezimmer und lasse mir die Wanne voll. Marianne ist im Laden, Siegfried im Stall, und Frieda steht in Erwartung der Gäste am Tor. Es ist gerade acht Uhr, vor Mittag werden sie nicht kommen.
Dann, als ich mich ausziehe, sehe ich die Spuren an meinem Körper. Die Verzweiflung packt mich mit ganzer Wucht. Was habe ich getan? Was hat der Henner getan? Jeder wird es sehen, Johannes natürlich zuerst. Wie soll ich das verbergen? Die Zeichen seiner Hände prangen an meinem Hals, an Armen und Oberschenkeln. Da ist nichts zu leugnen, nichts zu erklären. Sie schicken mich zur Mutter zurück, und die Schande wird an mir kleben wie Pech. Das ist in unserem Dorf auch 1990 noch so, wie es schon immer war.
Draußen ballen sich Wolken zusammen, es wird Regen geben. Die Luft kühlt ab, ein Wind erhebt sich. Das Wetter wird mich retten! Aus meinem Koffer hole ich ein blaues Kleid mit halben Ärmeln, blau mit weißen Punkten darauf; es geht mir bis über die Knie. Darüber ziehe ich eine weiße Strickjacke, um den Hals wickele ich einen Schal. Mein Gesicht verrät nichts, das hat er geschont.
Ganz unten in meinem Koffer liegt ein Umschlag, den habe ich nicht dort hineingelegt. Er ist nicht verschlossen, und darin ist ein Zettel, darauf steht ein einziger Satz: »Nachts lag er da und war gierig nach ihr und bekam sie.« Ich sehe zu Johannes hinüber, der schläft dort und weiß nichts. Ich schäme mich unendlich, und dennoch – den Zettel behalte ich.
Später, beim zweiten Frühstück, rede ich einfach drauflos. Ich plappere
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