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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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den Johannes in Grund und Boden. Von den Großeltern und dem Hausumbau, endlich nach so vielen Jahren und wo die Traudel doch schon immer neidisch auf die anderen war, die längst eine vollautomatische Waschmaschine hatten, während sie noch in einem Bottich wusch, von der Mutter und ihrer Arbeitslosigkeit, vom Vater und der jungen Russin, mit der ich mich vielleicht anfreunden werde, aber vielleicht werde ich sie auch hassen, wenn sie sehr hübsch ist, werde ich sie auf jeden Fall hassen, und hübsch soll sie durchaus sein, der Großvater hat ein Bild gesehen und »allerhand« gesagt, der Großvater kennt sich aus mit hübschen Frauen, er war immer mal wieder auf Wildwechsel, wie der Lindenwirt es einmal ausgedrückt hatte, aber das ist nun schon lange vorbei, er ist ja jetzt alt. Johannes sagt zu alledem nichts. Nur bei der Geschichte von der jungen Russin schaut er hoch und sagt: »Die ist ja nur ein Jahr älter als ich.«
    Ich nicke und beeile mich, weiterzuerzählen, und schließlich kommt der Siegfried in die Küche und meint, jetzt müssten sie bald da sein, die Westler. »Ja«, sage ich, »lang kann’s nicht mehr dauern.«
    Lang hat es auch nicht mehr gedauert, und das war gut so, denn die Frieda steht sich nun schon seit Stunden die Beine in den Bauch. Sie wirkt ganz abwesend. Von vier Uhr früh an ist sie in der Küche gestanden und hat gekocht. Es war schon alles fertig, als ich zum Frühstück kam, sodass man es später nur noch warm machen muss. Nach einer Weile hören wir schließlich ein ganz neues, leises, schnurrendes Geräusch in der Hofeinfahrt. Daran wird sich besonders der Lukas noch lange erinnern. Ein solches Auto hat er noch nie gesehen; es ist wirklich ein Mercedes, das hätten wir nicht vermutet. Frieda ist zur Seite getreten und schaut weiterhin in die Ferne, als erwartete sie noch mehr Besucher. Dann aber schließt sie das Tor und geht mit gesenktem Kopf auf Hartmut zu, der eben ausgestiegen ist. Sie hält die Hände vor dem dicken Bauch gefaltet und nickt unaufhörlich mit dem Kopf. »Bist du da?«, fragt sie und nickt noch ein paarmal.
    Hartmut ist unverkennbar Siegfrieds Bruder. Nicht, dass er ihm aufs Haar gliche, es sind die Bewegungen, die Gesten, die Art, den Kopf zu heben, das flüchtige Schmunzeln zwischendurch. Wie Siegfried hat er einen großen Schädel und weit auseinanderstehende helle Augen mit ziemlich dichten blonden Wimpern, jedoch eine schmalere Nase und nicht so volle Lippen. Blass sieht er aus im Vergleich zum Siegfried, den die tägliche Arbeit auf dem Hof und den Weiden, die schneidenden Winterwinde und die brennende Sommersonne gebräunt und gegerbt haben. Die Brüder begrüßen sich mit festem Händedruck. Marianne fällt ihm um den Hals, und auch Tränen fließen. Schön hat sie sich gemacht, die Marianne. Sie trägt einen weiten schwarzen Rock mit üppigen Rosen darauf und ein eng anliegendes, tief dekolletiertes rotes Oberteil.
    Dann steigt die Frau aus dem Wagen. Ich habe sie vorhin schon beobachtet. Sie hatte den Sonnenschutz heruntergeklappt, an dem sich offensichtlich ein Spiegel befindet, sie zog den Lippenstift nach und die Augenbrauen glatt. Nun geht sie zielgerichtet auf Frieda zu, streckt ihr die Hand entgegen und sagt: »Gisela. Freut mich sehr, Sie endlich kennenzulernen.«
    »Ist schon recht«, antwortet Frieda, ohne sie genau anzusehen. Gisela trägt einen grauen Hosenanzug mit einer weißen Bluse darunter. Sie ist blond, die Haare sind hochgesteckt. Ziemlich gepflegt sieht sie aus. Ihre Schuhe sind schwarz und flach; sie ist beinahe so groß wie Hartmut und also auch Siegfried. Marianne geht ihr trotz der Stöckelschuhe, die sie konsequent auch im Stall trägt, gerade mal bis zur Nase. Dann begrüßen wir uns alle nacheinander, reichen uns die Hände, stellen uns vor und schauen dann gemeinsam durch die glänzenden Autoscheiben auf die Rücksitzbank, wo die Kinder schlafen. Sie sind sieben und neun Jahre alt, der Hartmut hat sich Zeit gelassen mit dem Vaterwerden.
    Frieda ist schon in die Küche geeilt, das Essen warm zu machen. Wir anderen stehen im Hof herum. Marianne hat sich Gisela untergehakt und zeigt ihr den Hof, Siegfried und Lukas stehen vor der geöffneten Motorhaube des Mercedes und schauen hinein. Johannes folgt dem Hartmut, der, so scheint es mir, gleich anfangen wird zu weinen. Ich könnte es gut verstehen. Alfred schleicht ein bisschen umher, dann geht er seine Arbeit tun, wie sonst auch.
    Um mich kümmert sich niemand, und Johannes

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