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Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Irgendwann werden wir uns alles erzählen

Titel: Irgendwann werden wir uns alles erzählen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniela Krien
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Tisch aufstehen und in das andere Zimmer gehen, da sage ich einen Satz zu ihm, den ich, das weiß ich schon jetzt, nur einmal sagen werde: »Mach mit mir, was du willst«, flüstere ich ihm ins Ohr. Und das tut er dann auch.
    *
    Am nächsten Morgen erwache ich vom Bellen der Hunde. Irgendwer muss draußen am Tor sein, vielleicht auch nur ein Tier. Ich muss zur Toilette und versuche aufzustehen, hebe meine Beine aus dem Bett und stelle sie auf den kühlen Boden, doch sie sacken unter mir zusammen. Der Henner springt auf. Er kommt zu mir herüber und trägt mich zur Toilette und wieder zurück. Ich muss an die Katzenmütter denken, die ihre Jungen in den Nacken beißen und sie herumschleppen. Der Henner ist meine Katzenmutter für heute. In der letzten Nacht habe ich dann doch ein bisschen geweint und ihn einmal darum gebeten, er möge aufhören. Da sagte er ganz leise und mit einer seltsamen Stimme, das hätte ich mir eher überlegen müssen, dafür sei es zu spät.
    Die Hunde sind nun wieder still, und der Henner wäscht mich mit einem warmen Schwamm. Er streicht mir die Haare aus dem Gesicht und will mich wieder rein machen. Dann kocht er Tee und läuft ins Dorf, um Brötchen zu holen. Den ganzen Tag bleibt er bei mir und füttert und putzt mich. Ich bin wirklich krank geworden. Mein Kopf ist heiß und meine Gedanken sind wirr, und dennoch fühle ich mich glücklich. Nur weggehen darf er nicht vom Bett, da werde ich gleich unruhig. Bei Einbruch der Dunkelheit stellt er eine kleine Lampe auf den Fußboden neben das Bett und beginnt, mir etwas vorzulesen. » Schließ mit deinen kühlen, guten / Händen alle Wunden zu – / Daß nach innen sie verbluten – / Süße Schmerzensmutter – du!« Ich schließe die Augen und gleite weiter ins Fieber hinein. »Das Dunkel löschte mich schweigend aus, / Ich ward ein toter Schatten im Tag – / Da trat ich aus der Freude Haus / In die Nacht hinaus. / … / Du bist in tiefer Mitternacht / Ein Unempfangner in süßem Schoß, / Und nie gewesen, wesenlos! / Du bist in tiefer Mitternacht.« Später fühle ich seine kühlen Hände auf meinem Fieberleib, aber da weiß ich schon nicht mehr, ob ich wache oder träume.
    Gruschenka, Gruschenka, willst du wirklich bei Dmitri bleiben?
    In der Nacht liegt er neben mir und findet keinen Schlaf; er wälzt sich hin und her. Das Fieber verändert meine Wahrnehmung. Der Abstand zwischen dem Henner und mir kommt mir meterweit vor, obwohl ich ihn berühren kann. Selbst meine eigenen Beine und Arme scheinen von mir weg zu streben. Ich ergebe mich diesem Gefühl, liege auf dem Bauch, die Arme unter dem Kopf, dämmere vor mich hin und spüre ihn irgendwann wieder in mir. Er nimmt mich, wie es ihm gefällt – bis er endlich schlafen kann.
    Aus dem einen Tag werden zwei, und auch am dritten bin ich noch hier. Ich hätte viel geredet im Fieber, sagt der Henner, jedoch ohne Zusammenhang.
    Ich bin noch furchtbar schwach, und heute kommt doch der Johannes wieder. Wenn er mich auf dem Hof nicht findet, wird er zur Mutter fahren und mich holen wollen. Dann kommt alles raus.
    Neben dem Bett stehen allerlei leere Tassen. Der Henner hat Kräuteraufgüsse gemacht und sie mir löffelweise eingeflößt, so sagt er es jedenfalls. Erinnern kann ich mich nicht daran.
    Unruhig bin ich jetzt, ich muss eher auf dem Hof sein als der Johannes. Gehen muss ich. Jetzt gleich. Der Henner hat meine Sachen gewaschen und bringt sie mir zum Bett. Er sieht mich lange an. Seine Augen fragen, was ich weiß von diesen Nächten, ob er zu weit gegangen sei. Ich lasse ihn mit seiner stummen Frage allein; ich weiß es doch selbst nicht.
    Von draußen leuchtet der Tag in die dunkle Stube. Ich ziehe mich umständlich an und trete aus dem Haus wie aus der Zeit. Dort drinnen ist alles alt. Die Gemäuer, das Bett und irgendwie auch der Henner. Er begleitet mich bis zum Tor und sagt: »Ich bin hier, Maria, das weißt du.« Einen Zettel gibt er mir diesmal nicht mit auf den Weg.
    Vor der Haustür des Brendel-Hofs steht der Alfred und schaut. Er grüßt mich auf Frieda-Art und sagt: »Na, ist sie wieder da? War’s schön bei der Mutter?« Ein heimtückisches Grinsen zuckt über seinen schmalen Mund, und seine Augen verengen sich. Doch noch bevor ich antworten kann, hält hinter mir der Wartburg, und Johannes steigt aus. Mein Herz klopft bis zum Hals, und auch im Kopf fühle ich ein hartes Pulsieren. Die Lüge ist die schlimmste Sünde, hat die Großmutter Traudel immer gesagt, wenn der Lorenz

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