Irgendwann werden wir uns alles erzählen
bei mir, nur einen Tag …« Das war deutlich; jetzt ist es an mir.
Gisela und Hartmut sind zusammen mit der Frieda zurück nach Bayern gefahren. Für Frieda ist es das erste Mal in ihrem Leben, dass sie ins Ausland fährt. Noch sind wir ja DDR. Sie war so aufgeregt, dass Marianne ihr die Koffer packen musste, weil sie gar nicht wusste, was sie mitnehmen soll. Normalerweise trägt sie Tag für Tag ihre Kittelschürze. Hartmut hat versprochen, nun öfter zu kommen; er will den Siegfried unterstützen, wenn es darum gehen wird, das LPG-Land zurückzuholen. Und die Akten, die interessieren ihn mehr als uns alle zusammen.
Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ein paarmal bin ich zum Henner-Hof gegangen, doch alles war verschlossen. Johannes ist gestern gefahren und will erst in drei Tagen wiederkommen. Ich beschließe, rüber zur Lindenschenke zu gehen und zu fragen, ob der Wirt nicht eine Bedienung für den Rest des Sommers braucht. Er hat einen neuen Freisitz eröffnet, und langsam kommen sogar Touristen in unsere Gegend. Ein bisschen schön mache ich mich: ein helles, frisches Kleid, ein wenig Rot auf die Lippen, die Schuhe mit den kleinen Absätzen. Dann laufe ich die staubige Gasse zur Schenke hinüber, es ist früher Nachmittag, windstill und heiß, ein leichtes Surren in der Luft.
Als ich die Schankstube betrete, sehe ich den Henner am Stammtisch sitzen. Er ist sternhagelvoll und schwingt wüste Reden über den »Verbrecherstaat, der mir das Leben versaut hat, und sogar die Frau ist abgehauen, und bei der Stasi war sie auch, die alte Schlampe«. Mir zittern gleich die Knie. Ganz furchtbar sieht er aus, schmutzig und brutal und so anders, als ich ihn haben möchte. Ich zwinge mich vorwärts und an die Theke, bitte den Lindenwirt, kurz mitzukommen, in der Hoffnung, der Henner möge mich nicht sehen. Seine rechte Hand ist auf den Tisch gestützt, in einer klebrigen Bierlache ruhend, die linke liegt schlaff auf dem fleckigen Hosenbein. Dreh dich nicht um, Henner, denke ich, doch genau das tut er. Schaut mich von unten an, grinst ganz entgleist und lacht einmal kurz. »Die Maria! Das Püppchen!«, schreit er dann, »für die ist alles noch leicht, die geht weg von hier und kommt nie wieder. Nie wieder! Was will die eigentlich mit dem Johannes, dem Bubi?« Und dann lacht er so laut, dass selbst die anderen Stammtrinker ein wenig betreten dreinschauen. Ich zittere am ganzen Körper, und der Lindenwirt sagt: »Na wunderbar, da fängst du nächste Woche hier an, über den Sommer, das kommt mir ganz recht, weil doch die Gabi wieder ein Kind erwartet und nicht mehr viel mithelfen kann.«
Dann verlasse ich den Raum und gehe einfach los. Ich weiß eigentlich nicht, wohin ich gehe, ich laufe wie von selbst den Weg entlang zum Wald. Und als ich lange, wirklich weit gelaufen bin, höre ich ein Keuchen hinter mir. Er hat mich eingeholt, bevor ich es denken kann. Seine Arme reißen mich zu Boden, und wir fallen ohne Halt. Der Henner liegt auf mir und hält mich fest. So lange, bis ich mich nicht mehr bewege. Dann kniet er sich über mich und sagt so nüchtern, wie er vorhin betrunken war: »Und jetzt kommst du mit!« Und ich putze mir die Walderde vom Kleid, laufe zurück zum Hof, sage der Marianne, dass ich zur Mutter muss und noch nicht wüsste, wann ich zurückkäme, hole das Nötigste aus dem Spinnenreich, stecke heimlich einiges Gemüse und ein Stück Fleisch aus dem Laden in meine Tasche und gehe. Ich ginge wohl auch, wenn der Johannes hier wäre. Das ist keine Entscheidung.
Als ich komme, ist er gewaschen und neu gekleidet. Es erstaunt mich, wie schnell er ausgenüchtert ist. Ich mag noch nicht sprechen, ich strafe ihn mit meinem Schweigen. Dann fange ich an, das Gemüse zu schneiden. Die Zwiebeln und den Knoblauch dünste ich in Butter an, die Kartoffeln und das Gemüse klein gewürfelt dazu, einige Gewürze, die ich in seinem Schrank finde, eine Viertelstunde kochen, ein bisschen Sahne, etwas Mehl. Dann das Fleisch: zwei dicke Lendenstücke, zart und saftig. »Deck den Tisch, Henner!«, sag ich zu ihm. »Das Essen ist gleich fertig.« Plötzlich sieht er ganz jung aus. Ein spöttisches Lächeln legt sich ihm über den Mund. Doch den Tisch deckt er ohne Widerrede.
Während des ganzen Essens beobachtet er mich, wie um sicherzugehen, dass ich nicht plötzlich wieder verschwinde. Das gefällt mir. Ich weiß, es ist eitel und hochmütig. Er soll mich ansehen und begehren, nur mich, keine andere. Nur mich allein.
Als wir vom
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