Irgendwann werden wir uns alles erzählen
und ich sehe ihm dreist ins Gesicht. Da senkt er den Blick wieder. »Maria«, hat sich der Johannes nun warmgeredet, »das werden richtig gute Bilder, in dem alten Haus, da sieht es doch noch aus wie ganz früher, der hat ja noch nicht mal ein Badezimmer, nur so eine alte Waschschüssel, und die Möbel sind noch von den Großeltern, stimmt’s, Mutter?«
»Ja, ja, stimmt«, sagt sie, und ich sehe, wie ihm schon die Motive durch den Kopf rauschen. Frieda fügt hinzu, der Henner hole sogar das Wasser noch aus dem Brunnen im Hof. Kein Wunder, dass die Frau da nicht bleiben wollte. Die Blumen, zitternd in Todeskühle, die warten, bis man sie niedermäht, denke ich, doch ich habe es wohl nicht nur gedacht, sondern auch gesagt, und Johannes fragt: »Was hast du gesagt?«, und auch die Marianne schaut neugierig, und da muss ich es wiederholen. Die ganze Strophe sage ich ihnen auf: »Wir sind die Wandrer ohne Ziele, / Die Wolken, die der Wind verweht, / Die Blumen, zitternd in Todeskühle, / Die warten, bis man sie niedermäht« , und die Marianne meint, das sei ein bisschen morbide, doch Johannes findet es schön. Er will wissen, wo ich das her habe, und ich lasse den Alfred nicht aus den Augen, als ich sage: »Habe ich bei meiner Mutter gelesen, ich war doch den ganzen Tag dort.« Doch Alfred isst weiter, ohne mich noch einmal anzusehen. Die Katze schleicht um meine Beine, und ihr Schnurren kommt mir vor wie das Geräusch grollenden Donners. Draußen singen die Vögel.
Ich bin eine elende Lügnerin, denke ich, eine ganz elende Person. Ich höre die anderen nur noch wie von ferne. An meinem Bein spüre ich die Katzenzunge, das weckt eine Erinnerung. Der Alfred lacht plötzlich, und die Frieda stimmt mit ein. Ich habe keine Ahnung, worüber sie lachen, doch es kommt mir teuflisch vor. Er sagt nur deshalb nichts, weil er mich quälen will, denke ich nun, er will es auskosten bis zum Schluss, bis es nicht mehr anders geht. Er ist ein Teufel. Seine hündische Liebe zur Frieda ekelt mich plötzlich an. Ich begreife aber auch, wie er, der ewig zu kurz Gekommene, der einmal die Chance hatte, Hofbauer zu werden, bitter und gemein geworden ist. Gegen die anderen kann er nichts ausrichten, das ist ja sein Zuhause hier, und die Frieda würde ihm nie verzeihen, wenn er schlecht gegen Siegfried oder Marianne wäre. Aber ich gehöre nicht hierher. Das würde ihm keiner verübeln, wahrscheinlich wären sie ihm sogar dankbar, wenn er ihnen die Augen öffnen würde über das Mädchen Maria.
Jetzt springt mir die Katze auf den Schoß und schmiegt sich an mich. Man weiß nie, woran man ist bei den Katzen. Johannes sagt: »Komm, wir gehen hoch«, und ich stehe auf und behalte sie auf dem Arm, die Katze, und dann hoffe ich, der Johannes wird schnell einschlafen.
*
Jetzt vergeht einige Zeit, ohne dass ich die Gelegenheit bekomme, zum Henner zu gehen. Ich arbeite drüben beim Lindenwirt, und Siegfried ist eher als geplant zurückgekommen. Die toten Hühner haben ihn unruhig gemacht. Außerdem hat er gesehen, was er sehen wollte: einen Demeterhof. Er berichtet uns davon in knappen Worten. Wie man ihm angeboten habe, dort zu übernachten – in der Zwergenkammer. Zwergenkammer! Der Siegfried schüttelt sich vor Lachen, erstickt es aber gleich in einem tiefen Räuspern. Und dass sie dort noch einen Pflug mit Ochsen davor benutzten. Meine Güte! Man könne es auch übertreiben. Überzeugend sei das ansonsten schon, aber keine Zauberei, wie schon gesagt, und den Überbau bräuchte er nicht, von wegen Anthroposophie, im Grunde sei fast alles wie hier, ordentliches Futter vom eigenen Hof, keine Chemie und Medikamente, der Stall luftig und sauber, das Rind auf der Weide. Marianne meint, das hätte sie ja gleich gesagt, aber Siegfried entgegnet ihr, sie solle mal an die Hühner denken und nicht so große Reden schwingen. Da schweigt sie beleidigt.
Dann erzählt er noch, wie Gisela dem Hartmut auf der Nase rumtanzen würde und er das nicht aushalten würde mit so einer Frau und wie er froh wäre, wieder hier zu sein. Ruhe hätte er ohnehin nicht gehabt, weil er ja wüsste, dass Johannes nur die Hälfte von der Arbeit schafft, die eigentlich getan werden muss.
Er ist kaum eine Stunde da, schon macht er sich ans Werk. Johannes ist vorerst erlöst und beginnt erste Bilder vom Dorf zu machen. Ich hoffe, der Henner-Hof wird der letzte sein. Vielleicht ist dann ja schon alles vorbei.
Es ist später Sommer, der Herbst lauert bereits, und ich habe keine
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