Irgendwas geht immer (German Edition)
meine Erstgeborene meine ungeteilte Aufmerksamkeit braucht. Nicht zuletzt, weil sie so rührend dankbar für jedes Fitzelchen Zuwendung ist. Und das hat ihr X -Man gegeben. Ein winziges Fitzelchen, einen Krumen, fast nichts. Und genau das ist auch er. Ein Nichts. Glaubt er allen Ernstes, ich würde zulassen, dass sie sich mit einem Nichts einlässt? Eher würde ich mein Leben hergeben, als zuzulassen, dass sie dermaßen erniedrigt wird. Von einem so verlogenen und hinterhältigen Nichts. Glaubt er ernsthaft, ich stehe daneben und sehe zu, wie mein Ein und Alles sich geradewegs in seine wartenden Arme stürzt? Ein so naives, vertrauensseliges Geschöpf? So wunderschön und anmutig? Das zu ihm läuft – zu einem elenden Lügner? Diesen Ball hatte ich fest im Blick. Mit all meiner Konzentration. Oh ja.
Um kurz vor sieben traf ich im Jessup Park ein. Ich hatte mich als meine Tochter ausgegeben und den Zeitpunkt unseres Treffens vorverlegt. Ich hoffte, dass ich mich irrte. Dass ich auf einen pickligen Jüngling mit zu viel Haargel, Kapuzenshirt und Turnschuhen treffen würde, der voller Nervosität auf sie wartete. Ich hoffte sogar, dass er einen Schokoriegel für sie in seinen schwitzigen Händen hielt. Oder eine Dose Cider. Ich setzte mich ein Stück vom Treffpunkt entfernt auf eine Schaukel, um das Geschehen unbemerkt im Auge behalten zu können. Es wurde dunkel und ziemlich frisch. Um Punkt sieben kam eine Gestalt in den Park geschlurft. Erfreut stellte ich fest, dass diese tatsächlich ein Kapuzenshirt und eine Baseballkappe darunter trug, und entspannte mich für einen kurzen Moment. Trotzdem ließ ich den Kerl nicht aus den Augen. Er saß zusammengesunken auf einer Schaukel, hatte den Kopf gesenkt und fummelte an einem iPod herum. Vielversprechend. Sehr überzeugend. Zumindest auf den ersten Blick.
Doch dann registrierte ich ein paar Details, die meinen Verdacht erregten. Seine Jeans waren nicht okay. Zu schick, zu … gebügelt. Und auch seine Hände stimmten nicht. Sie waren zu … elegant und wohlgeformt. Sein Gang war ebenfalls verkehrt … zu selbstsicher. Ich trat näher. Er sah sich im Park um, doch ich konnte ihn nicht genau erkennen, weil er sich die Kapuze tief über die Baseballmütze gezogen hatte. Ich musste es darauf ankommen lassen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Ich näherte mich ihm von hinten. Erstaunlicherweise bemerkte er mich später, als ich angenommen hatte. Ich stand bereits dicht hinter ihm, als er unvermittelt den Kopf wandte und in Richtung Parkeingang blickte, so dass ich sein Profil erkennen konnte.
Dieser Kerl war kein Teenager. Sondern ein erwachsener Mann. Die Falten auf seiner Stirn und seine wettergegerbte Haut standen in krassem Gegensatz zu seiner Kleidung. Es war völlig verkehrt. » X -Man?«, fragte ich. Er sprang auf und fuhr herum. Noch bevor er sich vollends zu mir umgedreht hatte, holte ich aus und rammte ihm meine Rechte ins Gesicht – rein instinktiv und nicht geplant. Ich wollte nicht reden, sondern handeln. Der Schmerz in meiner Hand schockierte mich, ebenso die Wucht, mit der ich zugeschlagen hatte. Seit ich fünf Jahre alt war, habe ich nicht mehr so ungeniert auf einen anderen Menschen eingedroschen. Er riss schützend die Arme hoch. Aus irgendeinem Grund stachelte mich seine Feigheit noch weiter an, und genau in diesem Augenblick passierte es. Nicht vor dem ersten Schlag. Bis zu diesem Moment hatte ich mich noch halbwegs unter Kontrolle gehabt. Doch sein Versuch, sich vor mir zu schützen, die Feigheit dieser Geste, war so jämmerlich. Ich sah die Angst in seinen Augen, die Schuld, und etwas in mir zerbrach. Ich stellte mir vor, wie leicht es die Angst in ihren Augen hätte sein können, wenn sie herausgefunden hätte, was er war, wenn sie allein hier mit ihm gewesen wäre, so verletzlich, wenn er ihr etwas hätte antun können.
In dieser Sekunde konnte ich ihm sein feiges Spielchen nicht länger verzeihen. Ich spürte, wie ich nicht mehr nur Vater und Ehemann war. Dieser elende Mistkerl wich vor mir zurück, während ich die Wut, die tief in meinem Innern tobte, nicht länger kontrollieren konnte. Sie brach mit ungebremster Wucht aus mir heraus, als ich mich auf ihn stürzte. Ohne jeden Anflug von Angst drosch ich auf ihn ein, Schlag um Schlag. Ich wollte ihn zerfetzen. Ich riss ihn mit meinem Körpergewicht zu Boden. Es war ein Kinderspiel – er war viel leichter als ich, außerdem stand er unter Schock, und er sah nicht rot wie ich. Ich
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