Irgendwas geht immer (German Edition)
versetzte ihm eine Reihe von Tritten und Schlägen, bis er sich wie ein Baby zusammenrollte, um sich zu schützen. Ich packte ihn am Kragen und riss ihn hoch. Seine Baseballmütze fiel herunter, und ich sah Blut und Speichel aus seinem Mund sickern. Sein Atem ging stoßweise. Ich packte ihn bei den Haaren und rammte seinen Kopf auf die Holzbank. Ich hörte das laute Knacken seines Schädelknochens und registrierte, wie sich seine Zähne lockerten. Er hatte genug, aber ich konnte nicht aufhören. Ich wollte ihn zerstören, in Grund und Boden rammen, bis nichts mehr von ihm übrig war. Ich wollte ihn töten.
Doch auch ich bin nicht mehr der Jüngste und fing irgendwann an, zu japsen und nach Luft zu schnappen. Ich wollte mir eine kurze Erholungspause gönnen, ehe ich ihn mir weiter zur Brust nehmen würde, doch er nutzte den Augenblick, um sich aufzurappeln und sich taumelnd aus dem Staub zu machen, während ich heftig nach Luft rang. Ich rannte ihm nach, doch irgendwie gelang es ihm, über den Zaun zu klettern und zwischen den Bäumen zu verschwinden. Ich wusste, dass ich ihn nicht mehr kriegen würde. Ich war völlig geschafft. Schließlich ließ ich mich auf eine der Schaukeln fallen, während allmählich die Schmerzen einsetzten – ein Stechen in Höhe meines rechten Auges und das dumpfe Pochen in den Fingerknöcheln meiner rechten Hand. Ich hatte den metallischen Geschmack von Blut im Mund und fuhr vorsichtig mit der Zunge über die blutende Wunde an meiner Lippe.
Wann war all das passiert? Irgendwann während meines Ausbruchs hatte ich jedes Gefühl für Zeit und Raum verloren. Wie viel Zeit war verstrichen? Fünf Minuten? Eine halbe Stunde? Zwei Tage? Ich saß auf der Schaukel, während die Nacht hereinbrach. Es tat weh, genauso wie damals mit fünf, wenn ich mich geprügelt hatte. Und nun saß ich wieder hier, auf einer Schaukel im Park. Dasselbe Schlachtfeld. Nur fünfzig Jahre später. Ich war heilfroh, dass ich noch rechtzeitig aus dem Nebel blinder Wut aufgetaucht war. Ich lebe schon lange in dem Wissen, dass sie in mir schlummert. Ich habe sie stets gefürchtet. Mich ihrer geschämt. Ihrer unfassbaren Gewalttätigkeit. Aber heute war ich froh, dass ich sie besitze. Um jeden Feind von meiner Familie fernzuhalten und sie zu schützen. Hau ab, sonst werde ich dich töten. Wenn ich erst einmal in Rage bin, gibt es kein Zurück mehr.
Mein Handy läutete. Ich tastete meine Hosentaschen ab. Nichts. Wo war es? Ich folgte dem Klingeln, bis ich es unter der Bank fand. Es war Oscar. Nein, Dora. Sie tobte vor Wut. Hasste mich. Aber das ist mir egal. Bitte, tobe ruhig, Dora. Tu dir keinen Zwang an, denn du bist frei. Und genauso sollte es auch sein. Halte dich von jedem fern, der dir deine Freiheit wegzunehmen droht, meine Kleine. Sonst kriegen sie es mit mir zu tun, deinem alten Dad. Und dem Tier in ihm. Dem Tier in mir.
Schließlich machte sich das Tier humpelnd auf den Weg, um zu sehen, ob es bei seiner Schwiegermutter ein Pflaster und ein Stück Whiskey-Kuchen kriegen konnte, bevor es in seine Höhle zurückkehrte.
FÜNFUNDSIEBZIG
DORA
Montag. Der peinlichste Tag meines ganzen Lebens. Inzwischen hasse ich Dad sogar noch mehr als Mum, obwohl ich nicht gedacht hätte, dass das überhaupt möglich ist. Ich hasse sie beide total und bin so unglaublich froh, dass ich achtzehn bin und keinen Tag länger mehr mit ihnen in diesem Gefängnis zusammenleben muss. Wenn sie nicht endlich aufhören, sich in alles einzumischen, werde ich nie so was wie ein eigenes Leben haben! Ich bin kein Kind mehr! Wieso kapieren sie das nicht endlich? Lasst mich doch alle endlich in Ruhe, verdammt noch mal!!!
Der erste Teil des Tages war noch ganz okay. Ich habe bis zwei geschlafen oder so. Als ich aufstand, war keiner da. Sie waren alle bei der Arbeit und in der Schule, was echt super ist. Ich schloss meinen iPod an die Stereoanlage an und drehte bis zum Anschlag auf. Dann fand ich die Pop Tarts, die Dad hinter seinen Nahrungsergänzungsdrinks versteckt hatte, damit Mum sie nicht findet. Ich, Elvis und Poo aßen jeder einen. Ich legte mich auf den Boden, damit wir alle zusammen spielen konnten.
Ich liebe es, so zu tun, als wäre ich ein Hund, und die beiden auch. Poo lacht jedes Mal. Das weiß ich, weil ich es ihr ansehe. Wieso behaupten die Leute eigentlich immer, Hunde könnten nicht lachen? Das stimmt doch gar nicht. Sie kann es jedenfalls. Sie war ein bisschen verwirrt, als ich Wasser aus ihrem Napf getrunken habe. Sie sahen
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