Irgendwas geht immer (German Edition)
ich erwartet hatte. In erster Linie habe ich das Gefühl, dass etwas mit meinem Gehirn passiert. Scheinbar haben sich die Methoden, wie ich Informationen verarbeite, komplett verändert. Es ist, als würde ich unter einem ganz leichten, aber trotzdem spürbaren Gedächtnisverlust und einer Art Verwirrung leiden, wie ich es von früher nicht kenne. Es ist, als könnte ich vieles nicht mehr im selben Tempo erledigen und nicht mehr zehn Bälle gleichzeitig in der Luft jonglieren. Acht vielleicht, aber definitiv keine zehn mehr.
Ein Teil des Problems liegt natürlich darin, dass ich es nicht zugeben will, vor allem nicht bei der Arbeit. Was sollte ich auch sagen?
»Könnte ich dich mal kurz sprechen, George? Ich wollte dir nur sagen, dass ich nicht mehr so klug und so flink bin wie früher, und ich bin sicher, dass sich dieser Zustand merklich und unaufhaltsam verschlimmert. Okay?! Danke, dass du dir die Zeit für mich genommen hast.«
Es ist, als befände ich mich in einer Art rosafarbenem Nebel, in dem sich meine Charakterzüge aufzulösen beginnen. Ironischerweise wird mir erst jetzt klar, dass es genau jene Charakterzüge sind, die ich am meisten an mir mag.
Es sind die Wesenszüge, an deren Rändern ich am sensibelsten und verletzlichsten bin, weshalb ich ein wenig neben mir stehe und fast Angst vor mir selbst bekomme. Ich habe das Gefühl, als zwinge mich der Nebel, zum sicheren Kern meines Wesens zurückzukehren, wo mich das Gewohnte wie ein Kokon umgibt.
Am meisten verstört mich die Tatsache, dass mir langsam aufgeht, ich könnte möglicherweise meine eigenen Grenzen erreicht haben. Bis heute habe ich nie angezweifelt, meine Grenzen jederzeit überwinden zu können, und zwar sowohl meine intellektuellen als auch meine physischen. Doch nun dämmert mir, dass ich an der Grenze angelangt sein könnte, ohne es mitzubekommen, und sie wohl nicht werde überschreiten können. So wie diese riesigen Haie in den Aquarien, die ununterbrochen vorn an der Glasscheibe herumschwimmen, sie aber niemals überwinden werden. Es ist ein grausamer Trick der Natur – ich verfüge über die körperlichen Voraussetzungen, bringe eine Menge Erfahrung mit und sogar das intellektuelle Rüstzeug, doch leider ist die Glasscheibe zu dick. Das ist der Kopfteil. Rein körperlich sieht das Ganze völlig anders aus. Während die Versumpfung meines Gehirns ein langsamer, behutsamer Prozess war, den ich selbst kaum mitbekommen habe, vollzieht sich die Verwandlung meines Körpers mit beängstigender Geschwindigkeit. Offen gesagt sogar innerhalb eines Tages. Vorletzten Donnerstag, um genau zu sein.
Ich trat vor den Spiegel, um mich zu schminken. Als ich meine getönte Tagescreme auftragen wollte, fiel mir auf, dass ich das Gesicht im Spiegel gar nicht erkannte. Natürlich gab es genügend einzelne Teile, die mich davon überzeugt haben, dass die Frau im Spiegel tatsächlich ich war, aber … was um alles in der Welt war mit diesen tiefen Furchen und Falten und dunkelroten Äderchen und riesigen Poren? Wem gehörte das alles? Ich wusste die Antwort auf der Stelle – Pamela. Meine verdammte Mutter. Ich hatte diese Gesichtslandkarten schon viele Male gesehen, aber niemals im Spiegel, wenn ich selbst davorstand. Nicht, dass ich das Gesicht meiner Mutter nicht mögen würde; es ist nur so, dass es ihr Gesicht ist und nicht meines.
Ich drehte den Spiegel auf die Vergrößerungsseite um und erlebte etwas, das ich nur als blankes Entsetzen bezeichnen kann; die Art von Angst, bei der einem schier das Blut in den Adern gefriert. Was zum Teufel war das? Mein Gesicht sah auf einmal völlig anders aus. So überhaupt nicht, wie ich es erwartet hatte. Ich hatte Tränensäcke und Falten erwartet, ja gut, aber nicht in diesem Ausmaß. Mein Gesicht sah aus, als wäre es in einem Schraubstock eingeklemmt gewesen, und zwar die ganze Nacht lang – folglich handelte es sich bei der Mehrzahl der Falten um tiefe Furchen, die sich längs über mein Gesicht zogen. Äh, wie bitte?? Links und rechts meiner Nase verliefen zwei sichtbare Rinnen bis zu den Mundwinkeln, auf meiner Stirn klafften wahre Krater, und, was das Allerseltsamste war, auf meinen Lidern sah ich Falten, die von der Braue bis zum Wimpernrand verliefen. Wie bitte? So etwas habe ich noch nie an einem menschlichen Wesen gesehen. Mein Gesicht sieht aus wie ein Wellblechdach. Und zwar mit so tiefen Rinnen, dass das Regenwasser problemlos ablaufen kann. Mein Gesicht wird niemals nass werden. Dafür
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