Irgendwas geht immer (German Edition)
sich wieder das Bild an. Nach diesen beiden Tagen habe ich es so satt, das Bild anzuglotzen, dass ich am liebsten nie wieder eins anschauen würde. Und einen Kunstraum will ich auch nie mehr von innen sehen. Es ist, als hätte ich mein ganzes Leben in diesem Scheißzimmer verbracht. Und all das nur, um dazustehen und sagen zu können, dass das der letzte Kunsttag meines ganzen Lebens sein wird. Obwohl der Lehrer ständig um mich herumgetanzt ist und gemeint hat: »Los, Dora, nicht schwätzen, sondern malen. Du schaffst das, auf geht’s, Dora!«, habe ich das Gefühl, als hätte ich fünfzehn Stunden ohne Unterbrechung an etwas gemalt, das sowieso völliger Schrott ist. Praktisch alles, was ich anfasse, ist Schrott. Ich weiß es. Ich bin nicht dämlich. Ich sehe doch, dass alle anderen alles viel besser können als ich.
Aber ist ja auch egal. Jetzt ist es sowieso gelaufen, und ich habe nur noch eine Prüfung in Kochen, bevor ich für immer mit der Schule fertig bin. Oh mein Gott, nie wieder Schule! Yeah, Baby! Ich meine, wie sich das wohl anfühlen wird? Hm, klingelt da etwa um sieben Uhr morgens der Wecker? Muss ich aufstehen und diese potthässliche, total geschmacklose rot-graue Schuluniform anziehen? Nein, muss ich nicht. Weil Dora Battle nämlich nicht mehr zur Schule geht! Auf Wiedersehen, Scheißschule! Hasta la Vista, Baby! Bon voyage!
Wieso ist es eigentlich so schwer, aus den Büchern zu lernen? In der Achten habe ich versucht, Legasthenikerin zu sein, weil die mehr Zeit bei den Klassenarbeiten kriegen und Rechtschreibprüfung und all so was benutzen dürfen, aber blöderweise hat es nicht geklappt. Wenigstens habe ich herausgefunden, dass ich eine Brille brauche, das ist immerhin etwas. Trotzdem weiß ich nicht, wieso ich es so hasse, irgendwelche Texte zu lesen. Könnte sein, dass ich Lesen insgesamt hasse. Ich hasse Wörter und Sätze, und Bücher sind einfach scheiße. Aber wirklich interessant ist doch – und diese Scheißregierung sollte endlich mal aufwachen und kapieren, worum es heute geht –, dass ich Facebook und dieses ganze MSN -Zeug total gerne lese, und das ist doch auch Lesen, oder etwa nicht? Wörter sind Wörter, egal wo sie stehen.
Wenn ich könnte und meine Gefängniswärterin von Mutter es erlauben würde, dann würde ich die ganze Nacht vor Facebook sitzen, statt zu schlafen. Na ja, vielleicht nicht ganz, aber ich könnte vielleicht nur zwei Stunden schlafen statt der acht, zu denen sie mich jeden Tag zwingt.
Ich lieeeebe Facebook. So sehr, dass ich es am liebsten heiraten würde. Liebstes Facebook, würdest du mich heiraten, damit wir für immer zusammen sein können und du mir Spaß machst, bis dass der Tod uns scheidet?
Ich wünschte, ich hätte mehr Freunde. Lottie hat schon dreihundert oder so, aber sie ist ja auch superhübsch und beliebt und so. Aber selbst wenn ich, keine Ahnung, hundert oder so was hätte, wäre es schon super. Neuerdings habe ich ein paar mehr, aber die meisten sind die Schulfreunde meiner Cousins und Cousinen, die noch total unreif sind und so. Lotties Bruder ist auch einer meiner Freunde. Er ist supercool, antwortet aber praktisch nie, und wenn er es doch mal tut, faselt er die ganze Zeit nur von seiner Freundin. Ja, ist ja gut, ich hab’s kapiert.
Sam hat immer total lange Antworten geschrieben, was echt süß war, weil es superanstrengend ist, mit ihm zu reden, wenn man mit ihm zusammen ist. Oh Gott, ich erinnere mich noch an unser erstes Date, als er vor Schüchternheit kaum ein Wort rausbekommen hat. Wir haben auf einer Bank gesessen. Wir haben beide SMS geschrieben, und irgendwann kriegte ich eine von ihm, in der stand: »Darf ich dich küssen?« Es war sooo süß. Und der Kuss auch.
Manchmal glaube ich, wenn er mir über Facebook Nachrichten geschrieben hat, war er viel mehr der, der er wirklich ist. Was ziemlich schräg ist, weil es schließlich FACEbook heißt, obwohl man sich ja nie wirklich ins Gesicht sieht, wenn man sich eine Nachricht schreibt. Mum kapiert all das überhaupt nicht. Sie motzt ständig rum, auf Facebook könnten sich die Leute verstellen und so tun, als wären sie jemand, der sie in Wahrheit gar nicht sind, und alle damit verarschen. Na ja, kann ja sein, aber ich weiß sicher, dass es keinen Ort gibt, an dem ich mehr so sein kann, wie ich bin, als auf Facebook, und bei Sam ist es genauso. Es ist völlig okay, ein bisschen so zu tun, als wäre man jemand anderes, Mutter, denn man weiß ja nie, ob man nicht eines Tages
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