Irgendwas geht immer (German Edition)
mein Name, und ich flehe Sie an, zu begreifen, welche Schmach es bedeutet, ein Leben lang mit einem solchen Namen geschlagen zu sein. Es ist, als müsste man jeden Tag ein kleines Stück sterben. Meine Eltern müssen gemeine Sadisten sein, mich damit zu strafen. Aus diesem Grund habe ich beschlossen, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen und einen ansprechenderen Namen für mich zu finden. So einfach ist das. Zugegeben – ich empfinde eine gewisse Affinität zu Meister Wilde. Ich bin, sagen wir, ein Bewunderer von ihm. Das ist alles. Ich lese seine Werke und bin ihm mit großer Verehrung verbunden, doch bilde ich mir nicht ein, er zu sein. Keineswegs. Gütiger Himmel! Ich hege lediglich eine große und glühende Leidenschaft für das Leben und die Liebe. Ich bin das, was wir Engländer wie kein anderes Volk beherrschen, Sir – ich bin kein Verrückter, sondern schlicht ein Exzentriker. Ein Hoch auf alles, was unser Herz verzaubert!«
Schweigen.
Noel: »Hmm (besorgtes Runzeln seiner von hinreißenden Sommersprossen übersäten Stirn). Verstehe … aber könnte ich trotzdem mit Peter sprechen?«
Gütiger Himmel, was für ein Reinfall. Es scheint, als wäre mein süßes neuseeländisches Herzblatt nicht gerade der hellste Stern am Himmel. Wie konnte ich je einen Psychotherapeuten für einen klugen Menschen halten, wo ich doch das Beispiel für das exakte Gegenteil in Gestalt meiner geschätzten Mutter tagtäglich vor Augen habe?
Unsere Therapiesitzung zog sich eine gute halbe Stunde in dieser qualvollen Manier dahin, deren einziger Lichtblick darin bestand, dass ich das unübersehbar freche Grün seiner ach so verschmitzt dreinblickenden Augen im Visier hatte, die auf der verzweifelten Suche nach Antworten auf seine fruchtlosen Fragen über mein Gesicht wanderten. Er klammerte sich mit geradezu erbarmungswürdiger Entschlossenheit an die Theorie, dass mehrere Persönlichkeiten in mir schlummern müssten oder Oscar Wilde – wie bitte? – tatsächlich mittels Channeling durch mich spricht. Gütiger Himmel! Ich bin definitiv kein Seelenklempner, aber, ganz ehrlich, Noel-Schatz, wirf noch mal einen Blick in deine Lehrbücher.
Doch wie sehr ich mich auch darum bemühte, unser sinkendes Schiff in sichere Gefilde zu lenken, um mich endlich mit aller Entschlossenheit meinem Werben hingeben zu können, steuerte er uns erbarmungslos in die aufkommenden Stürme seiner geradezu himmelschreiend fehlgeleiteten Diagnose hinein. Natürlich weiß ich um die Notwendigkeit, einem Alpha-Männchen wie ihm ein gewisses Maß an Führungsqualität und Wichtigkeit zu vermitteln, also spielte ich mit, während ich mir inbrünstig wünschte, endlich diesen albernen Spielchen den Rücken kehren zu können und uns dem wichtigen und zentralen Grund meiner Anwesenheit zuzuwenden – dem Küssen.
Doch ich war klug genug, ihn nicht zu drängen, so dass sich das Gespräch zu meiner grenzenlosen Enttäuschung wie folgt weiterentwickelte:
Noel: »Danke für deine Offenheit heute, Peter.«
Ich: »Oscar. Es ist ein wunderbares Gefühl, so offen sprechen zu dürfen.«
Noel: »Glaubst du denn, dass du heute die Wahrheit gesagt hast? Oder hast du es nicht getan?«
Ich: »Ich? Die Unwahrheit sagen? Völlig ausgeschlossen. Immerhin bin ich aus Pangbourne, Sir.«
Noel: »Hm, das ist sehr gut. Wärst du damit einverstanden, wenn wir bei unserer nächsten Sitzung ein kleines Spiel spielen würden?«
Ich: »Ich wäre entzückt, Ihnen in jeglicher Form zur Verfügung zu stehen, die Sie wünschen. Und auch in manch anderer, die Sie vielleicht nicht zu wünschen wagen.«
Noel: »Das ist unangemessen.«
Ich: »Nun, das möchte ich doch hoffen.«
Noel: »Auf Wiedersehen, Peter.«
Ich: »Oscar. Leben Sie wohl. Arrivederci. Adieu.«
Hocherhobenen Hauptes machte ich mich von dannen und ließ ihn zurück – mit der Sehnsucht nach mehr, wie ich hoffe.
Und so beginnt sie. Die verrückte Geschichte unserer Liebe.
ACHTUNDVIERZIG
DORA
Fünfzehn Stunden Kunst innerhalb von zwei Tagen. Das war keine Prüfung, sondern eher eine Art Höchststrafe. Wir durften lediglich den Raum verlassen, um etwas zu essen oder auf die Toilette zu gehen und so. Es war … echt krank. Nach diesem Affentanz habe ich definitiv keine Lust mehr auf ein Leben als Künstlerin, falls sich herausstellen sollte, dass eine in mir steckt. Zumindest will ich nicht Malerin werden. Den ganzen Tag nur malen, man sieht sich das Bild an, malt weiter, sieht
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