Irgendwas geht immer (German Edition)
der Mensch wird, der man gern wäre. Deshalb ist es eine gute Übung, schon mal so zu tun als ob, finde ich.
Ich wünschte jedenfalls, ich hätte mehr Leute, bei denen ich das tun könnte. Demnächst werde ich mein Profil updaten und neue Fotos reinstellen, und vielleicht probiere ich dieses Ding mit der eigenen Gruppe mal aus. So was wie: »Gratis-Cupcakes für die ersten zwanzig heißen Typen, die mein Freund sein wollen. Muss fit und witzig sein. Loser und hässliche Typen können es sich gleich schenken. Beantworte garantiert jedes coole Posting.«
So was in der Art. Stehen Jungs überhaupt auf Cupcakes? Ich habe noch nie welche gebacken, aber Peter kann es ziemlich gut. Er wäre bestimmt total scharf drauf, die Zuschriften zu lesen, die ich gekriegt habe. Er kann supergut mit Computern umgehen und hat unseren wieder in Gang gebracht, als er kaputt war. Er mag ja manchmal ein bisschen schräg sein, aber er lässt sich bei Mum und Dad nicht über meine Privatangelegenheiten aus. Das Gute an einer Mutter, die aus der Steinzeit stammt, ist, dass sie nicht die leiseste Ahnung hat, wie man einen Computer auch nur ankriegt, und folglich nicht herumschnüffeln kann, denn ich weiß genau, dass sie das am liebsten tun würde.
Oh mein Gott! Lottie hat auf meine Nachricht wegen der Ballkleider geantwortet. Wie es aussieht, hat sie ein Date für den Abschlussball, will mir aber nicht über Facebook verraten, mit wem, sondern erst später, wenn sie vorbeikommt. Ihre Mum ist ziemlich sauer auf sie, wegen der Prüfungen und so, deshalb werde ich sie wohl erst in ein paar Tagen wieder sehen.
Ehrlich gesagt bin ich ein kleines bisschen neidisch, weil sie ein Date hat. Ich hatte mich schon so darauf gefreut, dass wir uns zusammen in Schale schmeißen und dann losziehen, nach dem Motto: »Hey, scheiß auf euch alle, wir brauchen keine Jungs, um gut drauf zu sein. Seht her, ihr Blödmänner, wir sind die besten Freundinnen der Welt und tanzen, bis wir tot umfallen!« Das hatten wir uns fest vorgenommen, aber jetzt geht das natürlich nicht, wenn sie mit einem Jungen hingeht. Eigentlich sollte ich mich für sie freuen. Und vielleicht hat ihr Date ja zufällig einen Bruder! Oder einen Kumpel oder so was. Oder …
NEUNUNDVIERZIG
MO
Der größte Unterschied besteht darin, dass ich mich leichter fühle. Ja, sogar körperlich. Was ich natürlich nicht bin. Dieses Gefühl ist so stark, dass ich mich tatsächlich dabei ertappt habe, wie ich mich vor den Spiegel gestellt und Bestandsaufnahme gemacht habe. Zu meiner Enttäuschung musste ich allerdings feststellen, dass ich immer noch genauso aussehe wie vorher. Dabei dachte ich, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde, dass man es sehen würde. Was sehen? Einen zarten Schimmer auf der Haut? Ein Leuchten in den Augen? Schlankere Oberschenkel? Fehlanzeige. Und trotzdem fühle ich mich eindeutig leichter.
Selbst die Fahrt in die Praxis war nicht wie sonst. Ich fuhr denselben Weg. Dieselben Straßen, dieselben Häuser, dieselben Läden, ja, aber alles war schöner, strahlender. Als wäre es in Farbe getaucht worden oder mit dem Dampfstrahler gereinigt. Alles wirkte sauberer, die Konturen schärfer. Vielleicht haben sich ja auch nur mein Gehör und mein Sehvermögen verändert, so dass ich auf einmal alles schärfer wahrnehme als vorher, andererseits ist alles völlig diffus und verschwommen. So viel zum Thema Chaos.
Diesen Vormittag hatte ich meine zweite Therapiesitzung mit Noel. Ich kam mir total lächerlich vor, als ich mich dabei ertappte, wie ich kurz zuvor eine zusätzliche Schicht Wimperntusche auftrug. Normalerweise trage ich fast immer Make-up, insofern ist es nicht weiter ungewöhnlich, aber jede Frau weiß genau, was los ist, wenn sie sich plötzlich mehr ins Zeug legt als sonst – wenn sie den Lidschatten etwas kräftiger aufträgt, dem Lidstrich am äußeren Augenwinkel einen verführerischen Schwung verleiht, den Amorbogen mit noch größerer Sorgfalt umrandet und die Lippen mit einem Rotton ausmalt, der unmissverständlich … nun ja, rot ist. All das habe ich ebenfalls getan, und ich wusste, dass ich es nicht einmal vor mir selbst verleugnen konnte, als mir bewusst wurde, dass ich einen Hauch Rouge auf mein Dekolleté in dem neuen, zu tief ausgeschnittenen Top gab – viel zu tief ausgeschnitten. Was habe ich mir nur dabei gedacht? Tatsache ist – ich habe überhaupt nichts gedacht. Ich wollte nicht denken. Sondern nur fühlen !
Entschlossen schob ich jeden
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