Irgendwie Top
bist echt die Pest, Brüderchen!“ Er stöhnte verhalten und zischte: „Es ist alles okay. Aber wenn du mir nicht glaubst, ich simse dir gleich die Adresse, dann kannst du von mir aus herkommen und mich abholen. Zufrieden?“
Markus atmete erleichtert aus: „Okay, Struppi. Mache ich. Bis gleich.“ Aber Tim hatte schon aufgelegt. Kurz danach piepste das Handy und Markus erhielt die Adresse. Er kannte den Stadtteil. Ein ziemlich nobles Viertel, unweit der Gartenparty, auf der sie neulich waren. Vielleicht war Tim wirklich nur bei einem Schulfreund? Aber er hätte ihm doch bestimmt erzählt, wenn er jemanden im Auge gehabt hätte? War auf der Party mehr passiert, als er mitbekommen hatte?
Tim hatte doch diesen einen Typ toll gefunden, nur hatte Markus sein Gesicht nicht mehr im Kopf. Er war bestimmt nicht so blöd gewesen, sich mit dem einzulassen? Er hatte es ihm doch gesagt: Das war einer von den Jägern. Einer, der bevorzugt Typen wie Tim aufriss, sie einmal durchnahm und wegwarf.
Markus fuhr schnell, ignorierte seine Kopfschmerzen. Er wollte Tim nur endlich gesund und unversehrt sehen. Und wissen, was passiert war. Vielleicht auch nicht ...
Tim stand an einer Bushaltestelle und winkte, als er das Auto erkannte. Er sah aus wie immer. Eine unverschämt gut sitzende, enge Jeans, hellblaues T-Shirt, struppige Haare. Markus hielt direkt neben ihm und wischte sich hastig seine feuchten Handflächen ab.
„Hey!“ Er gab seiner Stimme einen lockeren Ton und lächelte breit.
„Hey!“, grüßte Tim zurück. „Danke, dass du mich abholst. Ist doch ein bisschen weit zu Fuß.“
„Keine Ursache“, gab Markus grinsend zurück. Tim stieg ein, gab ihm einen flüchtigen Kuss und schnallte sich an.
„Was ist? Warum fährst du nicht los?“ Tims helle, blaue Augen wirkten verschlafen. Markus nahm sein Gesicht in sich auf. Er hatte es oft genug studiert. Er kannte jede Sommersprosse, jede Schattierung, die eigenwilligen Haarsträhnen, den feingeschwungenen Mund.
„Bei wem warst du nun?“ Er hörte selbst den eifersüchtig klingenden Unterton in seinen Worten.
Tim verdrehte augenblicklich die Augen. „Oh Mann, bei einem Freund eben, Markus! Hab ich doch gesagt.“ Er rutschte unruhig hin und her, sah seinen Bruder nicht direkt an.
Markus kannte ihn viel zu gut, wusste genau, dass er ein schlechtes Gewissen hatte und ihm etwas verschwieg. Oft hatte er ihn erlebt, wenn er etwas Unerlaubtes getan hatte. Tim war nicht gut darin zu lügen oder ihm etwas vorzumachen. Gerade ihm nicht.
Mühsam schluckte Markus. „Ein Freund?“, hakte er nach. „Wer?“
„Du kennst ihn eh nicht. Eben ein Freund“, antwortete Tim ausweichend, zuckte mit den Schultern und rutschte tiefer in den Sitz.
„Hast du etwa mit deinem ‚Freund‘ geschlafen?“ Leise, gefährlich verhohlene Wut in jedem Wort. Es klang gar nicht nach seiner Stimme. Markus’ Hände krallten sich um das Lenkrad, als ob er es zerdrücken wollte. Seine Muskeln spannten sich hilflos an. Diesen Augenblick hatte er immer gefürchtet und nun … fühlte er nur Taubheit in sich.
Tim blickte erschrocken hoch. Große Augen fixierten seinen Bruder. Er erkannte die Antwort, Markus konnte darin schon immer lesen und die Wahrheit brannte Löcher in seine Seele.
„Du hattest Sex mit ihm“, brachte er schnaubend hervor. Eine seltsame Leere breitete sich in seinem Herz und Kopf aus. Er wollte stöhnen, Tim anschreien, aber kein Laut kam über seine zusammengepressten Lippen.
„Ja“, sagte Tim ganz leise, ohne aufzublicken, „hatte ich.“
12 Tims erstes Mal
Die Worte hallten in Markus’ Kopf wieder. Sein Hals zog sich zusammen, als ob er ersticken müsste und sein Gesicht brannte. Ansonsten fühlte er … nichts. Komischerweise. Dabei …
Tim hat mit einem anderen Mann geschlafen! Er konnte nichts tun, um es rückgängig oder ungeschehen zu machen. Tim hat Sex gehabt. Er hat es getan. Die Vorstellung, wie ein anderer Mann seine groben Hände auf diesen wundervollen Körper legt, ihn erkundet, ihn stöhnen lässt, ist ... grausam – sollte es sein.
Markus kniff die Augen zusammen, versuchte klar zu denken, irgendwas zu sagen. Aber er fühlte sich eigentümlich leer.
„Markus?“ Er vernahm Tims Stimme wie aus weiter Ferne. „Alles okay?“ Markus gab ein undefinierbares Geräusch von sich, welches alles und nichts bedeuten konnte, aber sein Gehirn wollte einfach noch immer keine Worte formulieren, die den Gefühlen in ihm Ausdruck verleihen
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