Irgendwo da draußen - Kriminalroman
haben.«
André, schoss es mir siedendheiß durch den Kopf. Den hatte ich glatt vergessen.
»Viel, Herr Pfefferhorst. In den letzten Tagen habe ich hauptsächlich Hintergrundrecherchen betrieben. Es verdichten sich Verdachtsmomente, die auf eine bestimmte Person hinweisen.«
»Und wer ist es?«
»Leider darf ich Ihnen noch keine Namen nennen. Sehen Sie, als Privatdetektiv unterliege ich einer ähnlichen Schweigepflicht wie Ärzte oder Priester.«
»Ich werde mir Ihre Rechnung genau ansehen, Herr Wilsberg.«
»Das ist Ihr gutes Recht, Herr Pfefferhorst.«
»Ich bin nämlich nicht bereit, für Leistungen zu zahlen, die nicht erbracht wurden. Das kenne ich schon von den Elektrikern.«
»Das ist aber ein harscher Vorwurf, Herr Pfefferhorst. Und völlig ungerechtfertigt.«
»Gestern Abend war es wieder soweit. Ich schalte den Fernseher ein – und was höre ich? Eine Polizeisirene.«
»Das muss sehr unangenehm für Sie gewesen sein.«
»Ich habe den Kaffee auf, Herr Wilsberg. Bringen Sie den Kerl zur Strecke, und zwar bald!«
Ich versprach, den Fall in ein, spätestens zwei Tagen zum Abschluss zu führen.
»Hoffentlich!«, brummelte Pfefferhorst zum Abschied.
Dann rief ich Sandra Nebel an. Wieder redete nur ihr Anrufbeantworter.
XII
Ich stand vor dem Haus in der Sophienstraße und drückte zum vierten Mal auf die Klingel. Sandra wollte nicht öffnen oder war an der Uni oder einkaufen oder zu einem Kurzurlaub auf Alpha Centauri. Ich schaute auf die Uhr. André würde mir erneut durch die Lappen gehen. Ein bisschen schlechtes Gewissen hatte ich schon, dass sich Herr Pfefferhorst einen weiteren Abend mit unerklärlichen Phänomenen herumplagen musste, aber auf meiner Prioritätenliste stand er nicht ganz oben. Sein Pech.
Ich drückte einen anderen Klingelknopf. Nach meiner Berechnung musste er zu einer Wohnung gehören, die auf derselben Etage lag wie Sandra Nebels UFO-Basis. Die Haustür sprang auf.
Ein älterer Mann mit schlecht sitzender Perücke erwartete mich am Treppengeländer. Ohne Haarteil hätte er die Chance gehabt, Kapitän Jean Picard zu ähneln, so aber sah er einfach nur aus wie der große Bruder von Elton John.
»Guten Tag«, sagte ich höflich. »Vielleicht können Sie mir weiterhelfen. Ich bin ein Freund von Sandra Nebel. Seit Tagen versuche ich, sie zu erreichen.«
»So schnell kommt die bestimmt nicht zurück«, sagte der Mann.
Ich bekam einen Schreck. »Ist ihr etwas zugestoßen?«
Er tippte sich an die durch die Perücke noch niedriger gewordene Stirn. »Da oben ist ihr etwas zugestoßen. Die Nebel war schon immer ein bisschen komisch. Aber letzte Nacht ist sie völlig durchgedreht.«
»Und was …«, meine Stimme versagte, »… genau …«
»Also, mitten in der Nacht sind wir aufgewacht. Das heißt, meine Frau hat’s zuerst gehört und mich aufgeweckt. Schreit die Nebel doch im Treppenhaus: Lasst mich in Ruhe! Ich will nicht mitkommen. Ich denk, mein Gott, was ist denn da los, und steh auf. Da war sie schon aus dem Haus gerannt. Ich hab sie vom Fenster aus gesehen, sie war fast nackt, hatte nur eine Unterhose und ein Unterhemd an. Stellen Sie sich mal vor, mit einer Unterhose auf der Straße. Wie peinlich! Und das bei den Temperaturen.«
»Ja«, sagte ich. »Und dann?«
»Na, ich mach das Fenster auf und ruf runter: ›Fräulein Nebel, kann ich Ihnen helfen?‹ »Die wollen mich mitnehmen‹, schreit sie zurück. ›Ja, wer denn?‹, frage ich. ›Ist jemand in Ihrer Wohnung?‹ Mir war natürlich klar, dass sie sich das nur einbildete. Die hatte einen Koller oder so was. ›Gehen Sie wieder in Ihre Wohnung!‹, rufe ich. ›Ich schau nach, ob da jemand ist.‹ Aber sie wollte partout auf der Straße bleiben.«
Ich stöhnte. »Und?«
»Andere Leute standen auch am Fenster und haben das mitgekriegt. Und einer von denen muss wohl die Polizei angerufen haben. Nach fünf Minuten kam eine Streife. Die haben mit der Nebel verhandelt und sie dann in den Streifenwagen gepackt. Ich schätze, die haben sie in der Klapsmühle abgeliefert.«
Erste Ablieferungsadresse für verwirrte Personen, wie es im Amtsdeutsch hieß, war die Westfälische Klinik für Psychiatrie im Norden der Stadt, von den Einheimischen schlicht Marienthal genannt. Der Name hatte, wie so vieles andere in Münster, eine katholische Geschichte. Während des Kulturkampfs im neunzehnten Jahrhundert verboten die preußischen Behörden den Schwestern vom Heiligsten Herzen Jesu, ihr Mädchenpensionat im
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