Irgendwo ganz anders
Überstundenzuschläge, und für Braxton Hicks war sein Haushaltsplan das Wichtigste auf der Welt. Die Polizei ließ uns also in Ruhe, und wir gingen ihr auch aus dem Weg.
»Wir haben eine Frage«, sagte Stig, der grundsätzlich nur in der ersten Person Plural von sich sprach, »müssen wir im Fragebogen für die Berufsgenossenschaft das Risiko erwähnen, von einem Mammut zu Tode getrampelt zu werden?«
»Nein, diesen Teil unseres Unternehmens möchten wir nicht weiter bekannt werden lassen. Die Fragen nach der Betriebssicherheit beziehen sich ausschließlich auf das Teppichverlegen.«
»Wir verstehen«, sagte Stig. »Haben Sie eigentlich Landen schon gesagt, was wir hier machen?«
»Ich ... bereite mich intensiv darauf vor.«
»Gut«, sagte Stig. »Und wir gratulieren Ihnen auch zur Wiederkehr des Tages, an dem Ihre Mutter Sie auf die Welt gebracht hat.«
»Vielen Dank.«
Ich wünschte Stig noch einen guten Tag und ging zu den Büros, die sich in einem Zwischenstock auf halber Höhe der Halle befanden. Von hier aus hatte man einen guten Überblick über alles, was vorging – sowohl im Verkaufsraum als auch im Lager.
Als ich eintrat, sprach mich ein Mann an, der unter einem der Schreibtische hockte.
»Habt ihr’s gefangen?«, fragte er mit zitternder Stimme.
»Ja.«
Er kletterte aus seinem Versteck. Er war Anfang vierzig und sein Gesicht zeigte erste Falten. Obwohl er zur Geschäftsleitung gehörte, trug er ebenfalls eine Acme-Uniform. Sie stand ihm allerdings wesentlich besser als allen anderen Angestellten. Sie war offenbar maßgeschneidert, was Bowden allerdings heftig bestritt. Bei den LitAgs war er mein Partner gewesen, und deshalb erschien es nur recht und billig, dass er auch bei Acme eine leitende Position hatte.
»Gibt’s viel zu tun heute?«, fragte ich, während ich mir einen Kaffee einschenkte.
Bowden zeigte auf die Zeitung, die auf seinem Tisch lag. »Hast du das gelesen?«
»Das mit dem DummheitsÜberschuss?«
»Nicht direkt. Ich meinte die neue Reality-Show.«
»Welche?«, fragte ich. »Prominente als Pathologen, Verkauf deine Großmutter oder Bei wem stellen wir die lebenserhaltenden Maßnahmen ein? Das Angebot ist dieser Tage ja riesig.«
Bowden lachte. »Ich gebe zu, das mit der Großmutter war schon ein starkes Stück, aber RTA-TV hat jetzt noch was Geschmackloseres. Es heißt: Wer kriegt die Spenderniere? Zehn Dialyse-Patienten bewerben sich um eine Spenderniere, und das Publikum darf entscheiden, wer sie kriegt.«
Ich stöhnte. Seit den Zeiten, wo die Leute einen Sixpence bezahlten, um die Kranken im Irrenhaus zu beobachten, hatte unsere sadistische Schaulust ganz neue Dimensionen erreicht. Traurig schüttelte ich den Kopf. »Gute Bücher will wohl überhaupt keiner mehr lesen?«
Bowden zuckte die Achseln. Bei der kurzen Aufmerksamkeitsspanne der Leute waren Bücher offensichtlich zu sperrig geworden. Sie würden bald genauso an den Rand gedrängt werden wie das epische Gedicht, die griechische Tragödie, Tarzanheftchen und Kalendergeschichten.
»Wie geht’s der Familie?«, fragte Bowden.
»Alles bestens«, sagte ich. »Bloß Friday ist unfähig zu jeglicher Aktivität außer Dösen.«
»Und Pickwick? Wachsen die Federn allmählich wieder?«
»Nein«, seufzte ich. »Kannst du stricken?«
»Nee«, sagte er. »Warum fragst du?«
»Ach, nichts. Viel zu tun heute?«
Bowden nahm sein Klemmbrett vom Tisch und blätterte in den Notizen. »Spike muss sich mit ein paar Untoten und einem Rudel Heulern im Savernake Forest herumschlagen. Stig ist immer noch hinter den Diatrymas her. Die Geschmacksabteilung muss eine Fassadenverschandelungsepidemie in Cirencester bekämpfen, bei der falscher Klinker und künstliche Feldsteinfolien aus Plastik benutzt werden. Aus Bristol wird eine Slash’n’Burn-Attacke gemeldet, da wird sich die Pampas-Truppe drum kümmern. Und, ach ja, in Chippenham gibt es einen Ausbruch von Doppelgängern.«
»Irgendwas Literarisches?«, fragte ich hoffnungsvoll.
»Nur mal wieder Mrs Mattock und ihre gestohlenen Erstausgaben. Mach dir nichts vor, Thurs, über Bücher regt sich heute kein Mensch mehr auf, und das ist ja auch gut so.« Seit wir keine Beamten mehr waren, sondern Privatunternehmer, waren wir dazu übergegangen, uns kollegial zu duzen, aber manchmal hatte ich das Gefühl, dass er mehr Verständnis für mich gehabt hatte, als wir uns noch gesiezt hatten. »Für so etwas hätten wir auch gar keine Zeit. Wir müssen sechzehn Teppichböden verlegen
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