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Irgendwo ganz anders

Irgendwo ganz anders

Titel: Irgendwo ganz anders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jasper Fforde
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mich beobachtet hatte. Er reichte mir sein Mobilnotofon und ich rief Bradshaw an.
    »Commander? Hier spricht Thursday.« [7]
    »Ich bin in einem Taxi auf dem Weg zu Moby Dick via Der alte Mann und das Meer .« [8]
    »Offensichtlich nicht. Wie sieht es aus?« [9]
    »Nein, ich muss zuerst etwas in der Hesperus zerstören, und dann steigt hoffentlich der Leseindex im Außenland. Sobald ich da fertig bin, nehme ich mir Jobsworth vor.« [10]
    Ich sah aus dem Fenster. Wir waren wieder über dem Meer, aber das Wetter war besser. Zwei kleine Walboote mit jeweils fünf Männern an den Riemen steuerten auf eine Bewegung im Wasser zu, und ich beobachtete, wie eine mächtige grauweiße Masse aus dem grünen Wasser brach und eines der kleinen Boote zerschmetterte, wobei die unglücklichen Insassen ins Meer geschleudert wurden.
    »Ich komme gerade am hinteren Ende von Moby Dick raus. Haben Sie denn etwas vorzuschlagen?« [11]
    Ich klappte das Mobilnotofon zu und reichte es zurück. Wenn nicht einmal Bradshaw weiterwusste, war die Situation noch hoffnungsloser, als ich gedacht hatte. Wir gelangten mit Hilfe der »Ballade vom alten Seemann« von den Abenteuern auf See zur Lyrik, und nachdem wir uns kurz zwischen Sand und Strandgras in den Dünen von »False Dawn« versteckt hatten, weil eine Fußstreife von Danvers vorbeikam, fuhren wir weiter und bogen über »The Lighthouse« bei Longfellow ein.
    »Halten Sie mal einen Moment«, sagte ich zu Colin, und wir hielten unter einem Felsvorsprung aus Sandstein, an dessen anderem Ende ein Leuchtturm in der purpurroten Dämmerung lag und sein strahlendes Licht über die Bucht schweifen ließ.
    »Sie erwarten doch wohl nicht, dass ich auf Sie warte, bis Sie fertig sind?«, fragte er nervös.
    »Ich fürchte, so ist es. Wie nahe können Sie mich an den tatsächlichen Untergang der Hesperus bringen?«
    Geräuschvoll sog er Luft ein und kratzte sich die Nase. »Solange der Sturm tobt, kann ich auf keinen Fall in die Nähe. Während des Unwetters wollen Sie bestimmt nicht am Riff von Norman’s Woe sein. Vergessen Sie den Wind und den Regen – es ist die Kälte.«
    Ich wusste, was er meinte. Die Lyrik war eine Achterbahn für die Gefühle und schärfte die Sinne fast bis zum Zerreißen. Die Sonne war immer heller, der Himmel blauer, die Wälder dampften sechsmal so stark wie nach einem sommerlichen Regenguss und rochen zwölfmal erdiger. Die Liebe war zehnmal stärker, und Glück, Hoffnung und Barmherzigkeit stiegen auf eine Höhe, die vor lauter Wohlbefinden Schwindel verursachte. Die Kehrseite der Medaille war natürlich, dass die dunklen Seiten des Lebens zwanzigmal schlimmer waren – Tragödie und Verzweiflung waren umso trostloser und bösartiger. Wie hieß es in der BuchWelt? Bei der Lyrik machen sie garantiert keine halben Sachen.
    »Wie nahe kommen Sie denn ran?«
    »Tagesanbruch, drittletzte Strophe.«
    »Okay«, sagte ich, »das machen wir.«
    Er löste die Handbremse und fuhr vorsichtig an. Das Licht wechselte von der Abend- zur Morgendämmerung, als wir in »Das Wrack der Hesperus « kamen. Der Himmel war immer noch bleiern und ein starker Wind fegte über das Ufer, obwohl der schlimmste Sturm vorüber war. Das Taxi hielt auf dem Strand, ich öffnete die Tür und stieg aus. Ganz plötzlich überkam mich ein Gefühl des Verlustes und der Verzweiflung, aber da ich nur allzu gut wusste, dass es sich lediglich um Empfindungen handelte, die aus der überfrachteten Atmosphäre des Gedichts herrührten, versuchte ich, sie zu ignorieren. Colin stieg auch aus, und wir sahen uns nervös an. Der Strand war übersät mit den Wrackteilen der Hesperus , die von dem Sturm zu Kleinholz gemacht worden war. Ich zog den Kragen meiner Jacke hoch, um mich gegen die Kälte zu schützen, und wanderte am Rand des Wassers entlang.
    »Wonach suchen wir?«, fragte Colin, der hinter mir hergelaufen war.
    »Nach den Resten eines gelben Reisebusses«, sagte ich, »oder einer geschmacklosen Jacke mit großen blauen Karos.«
    »Nicht übermäßig ausgefallen, was?«
    Ein Großteil des Strandguts bestand aus Holz, Fässern, Seilen und dem einen oder anderen persönlichen Gegenstand. Wir stießen auf die Leiche eines Ertrunkenen, aber er war ein Matrose und stammte nicht aus dem Rover. Colin wurde richtig sentimental und lamentierte über den Verlust des Lebens. Er behauptete, der Matrose sei »schmerzlich dem Schoß seiner Familie entrissen worden« und habe »dem Sturm seine Seele gegeben«. Schließlich musste

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