Irgendwo ganz anders
Vielleicht wäre ich nicht glücklicher gewesen, wenn ich die Seite von mir entwickelt hätte, die sie war, aber mit Sicherheit wäre ich viel entspannter und wesentlich gesünder gewesen.
»Meinen Sie das ernst?«, fragte sie.
»Sonst würde ich es nicht sagen. Aber merk dir eins: Ich will ein Schinkenbrötchen und Kaffee.«
Sie lächelte.
»Sehr wohl. Sie kriegen Ihr Schinkenbrötchen und Kaffee.«
Sie gab mir eine Papiertüte. »Das ist für Sie.«
Ich schaute hinein. Es war Pickwicks blau-weißer Pullover – sie hatte ihn fertiggestrickt.
»Sehr gut«, murmelte ich und betrachtete neidisch die feine Arbeit. »Vielen D–«
Aber sie war schon weg. Ich ging in die Eingangshalle, holte mein ReiseBuch heraus, schlug die Beschreibung meines Büros bei Acme Carpets auf und fing an zu lesen. Nach einigen Zeilen wurde es plötzlich kälter, man hörte ein Geräusch wie knisterndes Zellophan, und dann saß ich wieder in meinem Kabuff und hatte einen trockenen Mund und solchen Durst, dass ich dachte, ich würde gleich ohnmächtig werden. Genau für diese Notfälle hatte ich immer einen Krug Wasser griffbereit auf meinem Schreibtisch. Die nächsten zehn Minuten verbrachte ich damit, Wasser zu trinken und tief zu atmen.
12.
Kinder
Landen und ich hatten oft darüber geredet, aber ein viertes hatten wir nie. Als Jenny geboren wurde, war ich zweiundvierzig, und ich ging davon aus, dass es damit erledigt wäre. Bei unserem letzten Versuch, Friday zu einem Studium an der Akademie der Zeit zu bringen, war er sechzehn, Tuesday war dreizehn, und Jenny, die Jüngste, war zehn. Ich hatte es abgelehnt, Jenny ebenfalls nach einem Wochentag zu benennen, weil ich dachte, zumindest eine von uns sollte einigermaßen normal sein.
Um zehn vor vier traf ich in Tuesdays Schule ein und wartete geduldig vor dem Mathematiksaal. Sie hatte schon von klein auf eine mathematische Begabung gezeigt, und war im Alter von neun Jahren das erste Mal damit aufgefallen. Sie hatte sich in den Mathematiksaal der Oberstufe verirrt und dort eine Gleichung an der Tafel gefunden, die sie für eine Hausaufgabe hielt. Aber es war keine Hausaufgabe, sondern Fermats Letzter Satz, und der Mathematiklehrer hatte ihn an die Tafel geschrieben, um zu zeigen, dass es für diese einfache Gleichung keine Lösung gab. Der Witz war nur, dass Tuesday eine Lösung gefunden und an die Tafel geschrieben hatte.
Als die Jagd nach dem Schüler begann, der die Gleichung gelöst hatte, dachte Tuesday, die Lehrer wären böse auf sie, und so dauerte es eine volle Woche, bis die Missetäterin gefunden wurde. Und auch dann musste man ihr lange gut zureden, bis sie die Lösung erklärte. Aus allen Erdteilen strömten daraufhin Mathematikprofessoren herbei, um zu sehen, wieso ihnen eine so einfache Lösung jahrhundertelang entgangen sein konnte.
Pünktlich um vier kam Tuesday aus dem Klassenzimmer. Sie sah erschöpft und ein bisschen ärgerlich aus.
»Hallo, Schatz«, sagte ich. »Wie war’s denn heute so?«
»Ganz okay«, sagte sie achselzuckend und gab mir ihre Bagpuss-Tasche, ihren rosa Regenmantel und die Pu-der-Bär-Sandwich-Dose, die sie wieder mal nicht leer gegessen hatte. »Musst du mich eigentlich in deiner Acme-Uniform abholen? Das ist ja wirklich endspeinlich!«
»Ja, das geht nun mal nicht anders«, sagte ich und gab ihr einen dicken Kuss, um sie noch ein bisschen verlegener zu machen. Das funktionierte allerdings nicht so richtig, denn die Schüler in ihrem Kurs waren viel zu besessen von ihren Algorithmen und parametrisierten elliptischen Kurven, als dass sie sich für eine Tochter interessiert hätten, die von ihrer Mutter in Verlegenheit gebracht wurde.
»Sie sind alle ein bisschen schwerfällig«, sagte sie, als wir zu meinem Wagen gingen. »Manche von ihnen können kaum zählen.«
»Liebling, das sind die klügsten mathematischen Köpfe der Welt, du solltest stolz darauf sein, dass sie Unterricht bei dir nehmen. Ich nehme an, es war ein bisschen ein Schock für die mathematische Bruderschaft, als du ihnen verkündet hast, dass es sechzehn ungerade Zahlen mehr gibt als gerade.«
»Siebzehn«, sagte sie. »Heute morgen im Bus ist mir noch eine eingefallen. Die Disparität zwischen geraden und ungeraden Zahlen ist relativ leicht zu erklären. Das Schwierige ist, den Leuten zu sagen, dass es tatsächlich eine höchste Zahl gibt. Das entzieht allen Theorien den Boden, die mit der Unendlichkeit operieren.«
Die schlauen Gene, die Mycroft von seinem Vater
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