Irische Küsse
anderen vor. Und bald zeigte Honora jeder Frau, den Bogen richtig zu halten und zu schießen. Sie war stolz auf ihren Erfolg. Im Bogenschießen machte ihr so schnell keiner etwas vor, auch wenn ihr Geschick in der Haushaltsführung zu wünschen übrig ließ.
Nach einer Weile verabschiedete sie sich von den Schützinnen und schlenderte zum Turnierplatz hinüber, um beim Schwertfechten zuzusehen. Einer der älteren Soldaten trug die Rüstung eines normannischen Ritters und ließ die Männer verschiedene Übungen ausführen, die Honora wohl hundertmal auf dem Turnierplatz ihres Vaters gesehen hatte.
Gespannt folgte sie dem Unterricht und wünschte, sich daran beteiligen zu können. In einem wilden Kriegstanz schwangen die Männer die Schwerter, wichen gegnerischen Hieben aus und parierten deren Schläge. Sie hielt den gebrochenen Griff ihres Dolches umklammert, den sie heimlich unter ihrem Gewand trug; unbändige Sehnsucht stieg in ihr hoch.
Während die Kämpfer eine Pause einlegten, näherte sich ihr King Patrick. Honora wollte einen höflichen Knicks machen, doch er wehrte mit einer unwirschen Geste ab. „Braucht Ihr etwas? Oder wollt Ihr nur zusehen?“
Sie wollte liebend gern an den Übungen teilnehmen. Aber zunächst brauchte sie ein Schwert.
„Ich wollte die Fechter bei ihren Fertigkeiten beobachten.“ Ehrlich gestanden wollte sie auch Ausschau nach geeigneten Männern halten, die sie vielleicht in ihrem Kampf gegen Ceredys begleiten würden. Sie hatte ihnen hier zwar nichts zu bieten, aber sie konnte ihnen Silber und Juwelen versprechen, wenn sie sich bereit erklärten, ihr nach England zu folgen.
Der König führte sie vom Übungsplatz. „Die Männer kämpfen gegeneinander um den Sieg. Ich vermute, Ewan wird der Beste sein.“
„Er hat sich seit seiner Knabenzeit sehr verändert.“ Sie ging neben dem König her. „In mancher Hinsicht.“
Ihr Blick wanderte über die hohen Festungsmauern. Unwillkürlich zog sie die Schultern hoch, als sie unter der Warte im Wachturm hindurchschritten. Schon als Kind war ihr nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, heimlich beobachtet zu werden. Und tatsächlich ertappte sie den kleinen Ulliam, der einen Lehmkloß in seiner dreckverschmierten Hand hielt, sich aber bei ihrem strengen Blick eines Besseren besann und eilig das Weite suchte, ohne das Geschoss abzufeuern.
„Werdet Ihr meinen Bruder heiraten?“, fragte King Patrick unvermittelt, leiser Tadel war seiner Stimme zu entnehmen.
Honora blieb verdutzt stehen. „Er hat mich nicht danach gefragt.“ Obgleich ihr das Herz bei dem Gedanken zu brechen drohte, wusste sie nicht, ob sie ihm ihr Jawort geben würde. Sie hatte nicht den Wunsch, einen Mann zu heiraten, der unentwegt auf der Suche nach Reichtum war, in der irrigen Annahme, sie wünschte sich ein Leben im Wohlstand. „Und zunächst muss ich meine eigenen Leute schützen und befreien. Das weiß Ewan.“
Patrick wies zum Übungsplatz hinüber. „Sir Anselm, der normannische Ritter, der meine Männer ausbildet, wird Euch helfen, mit den Soldaten zu reden. Ich kann zwar nicht versprechen, ob es welche geben wird, die Euch in Eurem Kampf unterstützen wollen, aber Ihr könnt fragen. Wenn Ihr bereit seid aufzubrechen, werden wir für Eure sichere Überfahrt sorgen.“
Honora blickte unverwandt in die steingrauen Augen des Königs, unendlich dankbar für sein Anerbieten. Es war zwar keine Garantie, dass sie Hilfe bekäme, aber immerhin ein erster Schritt. „Tausend Dank.“
Sie wollte wieder einen höflichen Knicks machen, aber er hinderte sie kopfschüttelnd daran. „Ich habe beobachtet, wie Ewan Euch ansieht. Und wir alle wünschen ihm Glück.“ Patrick war ein fürsorglicher Bruder, der offen über seine Gefühle sprach.
„Ich würde nie etwas tun, was Ewan schaden könnte.“
Der König blickte ihr forschend in die Augen, als wolle er ergründen, ob sie die Wahrheit sprach. „Dann verstehen wir einander.“
Am Morgen der Sonnenwende hatte sich ein geheimnisvoller Nebelschleier über die Burg und das Dorf der MacEgans gelegt. Alle Türen und Fenster waren mit Blumengirlanden geschmückt, die Herdstätten blieben kalt, zu sehr war man mit den Vorbereitungen für die nächtlichen Freudenfeuer beschäftigt.
Als Ewan Laochre erreichte, herrschte bereits reges Treiben im äußeren Burghof. Sein Bruder Bevan war soeben mit seiner Gemahlin Genevieve eingetroffen, die sich schwer auf ihn stützte und eine Hand schützend um ihren runden Leib
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