Irische Küsse
deines verstorbenen Mannes, nicht wahr?“
„Ich bin aber nicht bereit, dorthin zurückzukehren. Noch nicht.“
Die Heftigkeit in ihrer Stimme ließ ihn aufhorchen. Sie rannte vor etwas davon. Oder vor jemanden. Ein dunkler Verdacht stieg in ihm hoch. Ihm fiel Genevieve ein, die Gemahlin seines Bruders Bevan. Sie war mit einem normannischen Ritter verlobt gewesen, der sie verprügelt und gezüchtigt hatte. Mit Bevans Hilfe war es ihr gelungen, diesem Unhold zu entfliehen.
War Honora einer ähnlichen Bedrohung ausgesetzt gewesen?
„Wer hat dir etwas angetan?“, fragte Ewan mit weicher Stimme.
Sie schloss die Finger fest um den Knauf ihres Schwertes und hob die Klinge zum Angriff. In ihren Augen las er Zorn, aber keine Furcht. „Denkst du etwa, ich lasse zu, dass mir ein Mann etwas antut?“
Mit diesen Worten wollte sie ihn abschrecken, ihm klarmachen, er soll sie zufrieden lassen. Und dennoch glaubte er ihr nicht wirklich. Etwas war geschehen, das sie tief beunruhigte.
„Es ist spät“, fuhr Honora fort. „Lass mich wissen, wenn du etwas über den Dieb in Erfahrung gebracht hast.“
Er fragte nicht, wieso ihr die gestohlene Schatulle so sehr am Herzen lag, da er spürte, dass sie nicht darüber sprechen wollte. Einerseits wollte er sich nicht in etwas hineinziehen lassen, was ihn nichts anging, andererseits konnte er auch nicht zulassen, dass ein Gauner in der Burg ihres Vaters sein Unwesen trieb.
Er nickte. „Ich werde dir helfen.“
Die Ritterspiele begannen bei Tagesanbruch. Lord Ardennes ließ die Männer zum Ringkampf, Wettlauf, Bogenschießen und Schwertfechten antreten. Ewan hatte den Ringkampf als erste Disziplin gewählt.
Bevor er sich auf den Turnierplatz begab, nahm sein Bruder Bevan ihn beiseite und sprach eine Warnung aus. „Iren sind in diesem Land nicht sehr beliebt. Mach dich also auf Betrug gefasst.“
„Misch dich nicht ein. Das ist mein Kampf.“
„Wenn dein Leben bedroht ist, mische ich mich ein, ob es dir passt oder nicht. Du bist mein Bruder.“
Bevan war ein misstrauischer Mensch. Außerdem erwartete seine Gemahlin Genevieve ihr viertes Kind, und Bevan wäre lieber an ihrer Seite als in England gewesen.
„Ich werde siegen“, versicherte Ewan gelassen, in der festen Überzeugung, sein Ziel zu erreichen. Bevan schien nicht wirklich davon überzeugt zu sein, ließ ihn aber gehen.
Ewan näherte sich dem Podium, auf dem Baron Ardennes und seine Töchter Platz genommen hatten. Die Teilnehmer der Wettkämpfe hatten Kettenhemden und Brustpanzer angelegt, ausnahmslos Normannen, und jeder trug den Titel eines Ritters oder Lords.
Ewan war sich seines niederen Ranges bewusst. Der Baron hatte ihm zwar seine Einwilligung gegeben, Katherine den Hof machen zu dürfen, wobei Ewan den Verdacht hegte, dies sei nur aus Höflichkeit seinem Pflegevater gegenüber geschehen, nicht aber, weil Lord Ardennes Ewans Vermählung mit seiner jüngsten Tochter befürwortete.
Ungeduldig wartete er, bis er an der Reihe war, Katherine zu begrüßen. Beide Frauen trugen ihre schönsten Gewänder: Katherine einen cremefarbenen Bliaut mit Goldstickerei, Honora ein schlichteres dunkelblaues Gewand. Beide hatten weiße Schleier angelegt, gehalten von einem Silberreif.
Lord Ardennes sagte etwas, das Ewan nicht hören konnte, worauf Honora mit auf einmal geröteten Wangen den Blick in die Ferne richtete.
„Was hat er gesagt?“, fragte er den Mann vor ihm.
„Der Baron bietet beide Töchter zur Ehe an. Die älteste Tochter soll vor der jüngeren heiraten.“
Honora wollte sich wieder verheiraten? Ewan verkrampfte sich innerlich. Wieso hatte sie das nicht erwähnt? Kein Wort. Noch dazu sollte ihre Hochzeit vor Katherines Vermählung stattfinden. Wieso dieser plötzliche Sinneswandel?
Ihre verschlossene Miene ließ ihn wissen, dass es stimmte.
Unvermutet fragte er sich, ob ihre zufälligen Begegnungen gar kein Zufall gewesen waren. Immerhin hatte sie sich in seine Schlafkammer geschlichen. Während er sich in der Reihe der Bewerber dem Podium näherte, wuchs sein Groll gegen Honora.
Von allen Frauen in der gesamten Christenheit wäre Honora die Allerletzte, die er heiraten würde. Ihr aufsässiges Wesen störte ihn ungemein. Im Übrigen hatte er nicht vergessen, wie sie ihn als Jüngling gepeinigt hatte. Der Mann, der sie zur Frau nahm, musste ein wahrer Ausbund an Geduld und Nachsicht sein.
Er verdrängte seinen Unmut und verneigte sich vor Katherine. „Lady Katherine, Ihr seht wunderschön
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