Irische Küsse
freien Hand berührte er ihre Schulter. „Auch solche, die man nicht sieht.“
Vor allem solche, die man nicht sieht, dachte Honora und widmete ihre ganze Aufmerksamkeit der Aufgabe, den tiefen Schnitt mit gleichmäßigen kleinen Stichen zu nähen. Sie wollte nicht daran denken, dass sie zwischen seinen Schenkeln stand. Ein männlicher Geruch nach Erde und Regen entströmte ihm. Im Widerschein des Kaminfeuers schien sein Gesicht zu flackern, sie selbst spürte den Blick seiner grünen Augen auf sich.
„Warum hast du dein Haar abgeschnitten?“, fragte er unvermittelt.
Honora stach sich beinahe in den Finger. Eine harmlose Frage, die sie allerdings nicht beantworten wollte. Sie nahm sich zusammen und schaffte es, die Nadel mit sicherer Hand zu führen, während sie nach einer Erwiderung suchte. „Kurzes Haar macht es leichter, einen Helm zu tragen.“
Das stimmte zwar, war aber nicht der eigentliche Grund.
„Manchmal übe ich mit den Soldaten“, fügte sie hinzu. „Sie wissen nicht, wer ich bin.“
„Die Rüstung ist schwer.“
Es hatte einige Jahre gedauert, bis sie sich an das Gewicht gewöhnt hatte. Mittlerweile war sie kräftig genug, um das Kettenhemd für kurze Zeit zu tragen.
„Ich ermüde immer noch ziemlich rasch“, gestand sie. „Aber nur mit Rüstung kann ich gegen die Soldaten kämpfen, ohne dass sie mich erkennen. Diese Schulung ist wichtig, sonst verliere ich mein Kampfgeschick.“
„Warum ist das so wichtig für dich? Warum willst du unbedingt kämpfen?“
Sie wusste nicht, was sie antworten sollte. Er würde es ohnehin nicht verstehen. „Es ist mir eben wichtig.“
„Du bist eine Frau.“ Seine Stimme klang tief und melodisch, beinahe wie eine Liebkosung. Ihr rieselte ein Schauer über den Rücken.
„Ich bin ein Krieger. Auch wenn niemand davon weiß.“
Sie las den Tadel in seinen Augen, aber wenigstens tat er ihr den Gefallen, auf eine missbilligende Bemerkung zu verzichten. Honora wusste selbst, dass sie sich nicht mit ihrer Schwester vergleichen konnte. Katherine war eine sanftmütige Schönheit, mit Anmut und Liebreiz gesegnet und obendrein eine tüchtige Hausfrau.
All diese Talente fehlten Honora, und Ranulf hatte sich keine Gelegenheit entgehen lassen, ihr deshalb Vorhaltungen zu machen. Trotz aller Bemühungen war es ihr nicht gelungen, ihrem Gemahl ein angenehmes Heim zu gestalten oder ihm im Bett Vergnügen zu bereiten. Wäre sie krank geworden und früh gestorben, hätte er es vermutlich kaum bemerkt.
„Warum kämpfst du?“, fragte Ewan wieder und hielt den Blick auf sie gerichtet, als erfahre er dadurch die Wahrheit.
„Weil ich mich auf nichts anderes als aufs Kämpfen verstehe“, erwiderte sie knapp. Es war tatsächlich das Einzige, was sie mühelos beherrschte, abgesehen vom Umgang mit Nadel und Faden. Und selbst das hatte sie nur gelernt, weil es nötig war, um verwundete Soldaten zu versorgen. Der Anblick von Blut hatte ihr noch nie etwas ausgemacht, und sie hatte zahllose Wunden zusammengeflickt.
Nachdem sie den Faden verknotet hatte, belegte sie die Wunde mit Beinwellblättern und geriebenem Knoblauch. Katherine hatte diese Heilmittel mitgebracht. Sie hatte keine Spinnweben zur Verfügung, um sie wie ein Netz über die Wunde zu legen, aber ein fester Verband würde auch genügen. Nachdem sie den Arm mehrmals mit einem Leinenstreifen umwickelt hatte, fragte sie: „Soll ich dir auch den Brustkorb verbinden?“
Gegen ihre Absicht heftete sich ihr Blick an seinen Mund. Die Hitze im Gemach wurde unerträglich, Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn.
„Das ist nicht nötig.“ Er griff nach ihrer Hand, und sie dachte beklommen an die rauen Schwielen an der Innenfläche.
„In ein paar Wochen wird die Wunde verheilt sein“, erklärte sie. „Aber versuche, den Arm in dieser Zeit zu schonen.“ Sie trat einen Schritt zurück, entzog ihm ihre Hand und wartete darauf, dass er ging.
Ewan schien ihren Wink nicht zu verstehen und folgte ihr, bis sie zur Wand hin zurückwich. „Und du setze dich nie wieder einer solchen Gefahr aus wie heute am Bach. Beaulais hätte dich verletzen können.“ Er legte seine linke Hand an die Mauer hinter ihr. Wieder wehte sie sein Duft an und benebelte ihre Sinne.
Honora bemühte sich, ruhig zu atmen und ihr banges Herzklopfen nicht zu beachten. „Ich hätte mich gewehrt, wenn er versucht hätte, mich anzugreifen.“
„Du bist zu waghalsig“, widersprach er tadelnd. „Es ist zwar gut, dass du dich zu verteidigen
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