Irische Küsse
nichts dabei“, fiel Honora ihr ins Wort. Ewans Schnittwunde musste genäht werden, das stand außer Frage. Und wenn ihre Schwester mit ihm verheiratet war, musste sie wohl oder übel gelegentlich Wunden versorgen. Und außerdem war es eine günstige Gelegenheit, den beiden eine Chance zu geben, alleine zu sein. Sie versuchte es mit einer anderen Taktik. „Du hast doch selbst gesagt, wie gut er aussieht. Und er ist als Sieger aus dem Turnier hervorgegangen, er kämpfte tapferer als jeder andere.“
„Ja, schon. Aber wenn ich Blut sehe, falle ich in Ohnmacht.“
Honora verdrehte die Augen zum Himmel. „Sei nicht so zimperlich. Es ist nur ein harmloser Kratzer. Du verbindest ihn mit einem Leinenstreifen, mehr nicht.“
Katherine machte ein unglückliches Gesicht. „Es sah so schlimm aus. Und … ich habe Angst, allein mit ihm zu sein. Komm mit Honora, bitte.“
Niemals! Das wollte sie auf keinen Fall. Sie musste sich von ihm fernhalten und sich die tausend Gründe in Erinnerung rufen, warum Ewan MacEgan nicht der Mann sein durfte, den sie begehrte.
„Eine der Mägde wird dich begleiten, wenn dich das beruhigt“, bot sie ihr an. Katherine sprang auf und legte ihr die Hand auf den Arm. „Ich weiß, du kannst ihn nicht besonders gut leiden. Aber du könntest dich doch mit einer Stickerei ans Fenster setzen. Oder … du besserst ein Kleid aus. An meinem blauen Bliaut ist der Saum abgerissen.“
Sie wurde unschlüssig. Wenn sie Katherine dazu bewegen konnte, zu ihm zu gehen, könnte sie sich vielleicht in einer Ecke mit einer Handarbeit beschäftigen.
Nein, nein, nein. Sie durfte nicht einmal daran denken, sie zu begleiten. Was wäre, wenn Ewan versuchte Katherine zu küssen? Es wäre ihm unangenehm, sie in der Nähe zu wissen. Honoras Wangen erhitzten sich bei dem Gedanken an seinen Kuss.
„Versprich mir, mit mir zu kommen“, flehte Katherine. „Mir zuliebe.“ Sie verschränkte den kleinen Finger ihrer rechten Hand mit Honoras kleinem Finger, wie sie es als Kinder so oft getan hatten in einem geschwisterlichen Versprechen, das nicht gebrochen werden durfte.
„Bitte, Honora.“
Widerstrebend gab Honora ihren Widerstand auf. Solange sie sich weit genug entfernt hielt, würde es vielleicht gut gehen. Wenn nötig, würde sie in die Deckenbalken starren und Spinnweben zählen.
Sie straffte die Schultern und nickte. Katherine schlang die Arme um sie und bedankte sich überschwänglich.
„Nun geh schon“, ermunterte Honora sie mit einem dünnen Lächeln. „Ich komme nach.“
5. KAPITEL
Ewan saß auf einer Bank im Söllergemach und erhob sich bei Katherines Eintreten höflich.
„Es tut mir wirklich leid, Euch erschreckt zu haben, Lady Katherine“, begann er. „Es war falsch, mich in Eurer Gegenwart mit Lord Beaulais zu prügeln.“ Er näherte sich Katherine und hielt ihr beide Hände entgegen.
Im nächsten Augenblick huschte Honora in eine entfernte Ecke und machte sich daran, einen Riss in dem blauen Gewand ihrer Schwester auszubessern. Sie versuchte zwar, nicht auf die Unterhaltung der beiden zu achten, aber die Worte drangen zu ihr herüber.
„Honora berichtete mir, dass Ihr verletzt seid“, sagte Katherine und bat ihn, sich zu setzen. „Ich sehe nach, ob der Kräutersud schon vorbereitet wurde.“ Damit verließ sie eilig das Gemach und schloss die Tür hinter sich.
Ewan bedachte Honora mit finsterem Blick. „Warum bist du hier?“
„Es war Katherines Wunsch.“ Sie hob die Handarbeit hoch. „Meine Schwester wollte nicht allein mit dir sein.“ Sie verzog das Gesicht, da ihr die Situation sichtlich peinlich war. „Vergiss einfach, dass ich hier bin.“
Ein seltsamer Ausdruck flog über Ewans Gesichtszüge. „Dich kann man nicht so leicht vergessen, Honora.“
Sie wusste nicht, was er damit meinte. In seinen Augen las sie etwas, das sie an ihm nicht kannte. Er sah sie merkwürdig forschend an, zugleich wirkte er erschöpft, seine hageren Wangen waren von leichtem Bartwuchs verdunkelt. Trotz der Schwellung am Auge war er der schönste Mann, den sie je gesehen hatte. Ihr Blick heftete sich an die Platzwunde an seinem Mund, wo Beaulais’ Faust ihn getroffen hatte.
Sie verdrängte jeden Gedanken daran, dass sie sich mit Ewan allein in einem Gemach aufhielt, und erst recht jeden Gedanken an seinen Kuss. Er war im Begriff, ihre Schwester zu heiraten.
Sie riss den Saum des Gewandes mit großer Gewalt auf. Dieser Akt der Zerstörung bereitete ihr eine gewisse Genugtuung. Danach
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