Irische Küsse
ihn lachend aus dem Gemach.
Honora streckte sich wohlig im dampfenden Badezuber und wäre am liebsten ewig im warmen Wasser geblieben. Eine Magd wusch ihr das Haar, eine andere kümmerte sich um ihre schmutzigen Kleider. Königin Isabel brachte einen Arm voll Gewänder zur Auswahl.
Schmerzlich verzog Honora das Gesicht beim Gedanken an ihre zerlumpte Erscheinung. Die Farbe ihres Bliauts war vom Salzwasser verblichen, der Saum hing an einigen Stellen lose herunter. Weder Connor noch Ewan hatten ein Wort darüber verloren, sie hätte ja auch nichts dagegen tun können. Aber es war ihr unendlich peinlich, Fremden zu begegnen und auszusehen wie eine Bettlerin.
Nie zuvor hatte sie sich so unwohl und deplatziert gefühlt. Sie konnte kein Wort verstehen, da alle Leute Gälisch redeten, eine keltische Sprache, und sie hatte bereits bemerkt, wie unterschiedlich die Bräuche hier waren. Alte Gefühle der Minderwertigkeit, die sie schon auf Ceredys bedrückt hatte, stiegen in ihr hoch. Heftig musste sie sich gegen sie wehren.
Die Königin hielt ein safrangelbes Gewand hoch und meinte kopfschüttelnd: „Nein, Gelb macht Euch zu blass. Vielleicht ist Rosa geeigneter.“ Sie hielt den nächsten Bliaut hoch, an dem sie aber ebenfalls keinen Gefallen fand. „Nein, die Farbe ist zu lieblich.“
Honora sagte nichts dazu. Isabel war eine bildschöne Frau mit blondem Haar und warmen braunen Augen. Mit jedem Kleid, das sie begutachtete und verwarf, geriet Honora in größere Verlegenheit. Sie besaß eine Auswahl praktischer Gewänder, das war ihr ausreichend erschienen. Nie hatte sie sich viele Gedanken um ihre Erscheinung gemacht. Ranulf begegnete ihr erst am Tag der Hochzeit, und danach hatte er nicht das geringste Interesse an ihrem Aussehen gezeigt.
„Bitte verzeiht“, richtete sie endlich das Wort an die Königin. „Es ist mir sehr unangenehm, ein Kleid zu tragen, das Euch gehört. Vielleicht könnte ich eines erwerben …“
Was für ein Einfall! Sie besaß nicht einmal ein Schwert, das sie gegen ein Gewand tauschen konnte. Und da sie von ihrer Familie verstoßen worden war, konnte sie niemanden um Hilfe bitten.
„Ihr seid mein Gast“, widersprach Isabel und fügte verständnisvoll hinzu: „Ich kann nachfühlen, wie Euch zumute ist. Auch mir ist früher großes Unglück widerfahren.“ Ein wehmütiger Zug flog über ihr Antlitz, wobei Honora sich nicht vorstellen konnte, dass die Königin ähnliches Leid erlebt hatte.
„Ich nehme an, es gibt gute Gründe, warum Ihr ohne Gepäck gereist seid“, fuhr Isabel fort.
Ihr fragender Unterton zwang Honora zu einer Erklärung über John und seine Soldaten. Als sie ihren Bericht beendet hatte, sagte sie: „Ich weiß nicht, ob ich je wieder nach Ceredys zurückkehren kann. Aber ich darf die Untertanen nicht Johns Willkür überlassen. Sie brauchen dringend Hilfe.“
Sie wusste, dass die Leute durch ihre Abwesenheit noch mehr leiden mussten. Gewissensbisse nagten an ihrer Seele. Sie waren wie eine schwärende Wunde, die nicht heilen wollte.
Die Königin öffnete eine Truhe und holte weitere Gewänder hervor. „Habt Ihr Ewan gefragt? Er weiß vielleicht Rat.“
„Er meint, ich könnte versuchen, Männer aus seinem Clan anzuwerben.“ Honora ließ den Kopf hängen. „Aber ich habe nicht genügend Silber, um sie zu bezahlen. Zudem spreche ich nicht einmal ihre Sprache.“
„Hat Ewan vor, für Eure Sache zu kämpfen?“ Isabel begutachtete den nächsten Bliaut, und Honora entging die Besorgnis in ihrer Stimme keineswegs.
„Das wäre mir nicht recht, es ist nicht sein Kampf“, antwortete sie zögernd. Sie wollte Ewan auf keinen Fall in die Sache hineinziehen. Er könnte im Kampf getötet werden.
Todesängste hatte sie um ihn ausgestanden, als sie das offene Meer absuchte, um Ausschau nach ihm zu halten. Die abenteuerliche Flucht verfolgte sie noch immer, meist nachts, in quälenden Albträumen. Wenn Ewan ertrunken wäre, hätte ihr Leben seinen Sinn verloren. Bei dem schrecklichen Gedanken krampfte sich ihr Herz schmerzlich zusammen. Sie ballte die Fäuste im Badewasser. Nein, er sollte in der Sicherheit seines Clans bleiben, ihm durfte nichts zustoßen.
Sie musste allein gegen John kämpfen. Er hatte sie einmal besiegt, ein zweites Mal sollte es ihm nicht gelingen.
Honora lehnte sich im Holzzuber zurück und zog die Beine an, während die Magd ihr das Haar mit frischem Wasser ausspülte. Danach ließ sie sich von ihr aus dem Zuber helfen und hüllte sich in ein
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