Irische Küsse
großes weißes Tuch. Anschließend nahm sie auf einem Hocker vor dem Kaminfeuer Platz. Das Mädchen rieb ihr das Haar trocken und glättete es mit einem Beinkamm, während Isabel der Dienerschaft Anweisungen für das abendliche Festmahl gab.
„Lasst zusätzliche Tische in der Halle aufstellen, und legt weiße Tücher auf. Holt die Silberleuchter aus der Kammer, und vergesst nicht, die Tafeln mit Blumen zu schmücken. Heute Abend gibt es Ewans Leibgericht: Lammbraten.“ Während die Königin fortfuhr, Instruktionen zu geben, schwirrte Honora der Kopf. Wozu all der Aufwand für zwei Gäste?
„Es ist doch nicht nötig, dass Ihr Euch solche Umstände macht“, versuchte Honora einzuwenden. Sie stand nicht gern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die Vorstellung, viele fremde und neugierige Blicke auf sich zu spüren, machte sie beklommen.
Isabel achtete nicht auf ihren Einwand und entließ die Mägde. „Ewan ist mir wie ein Bruder ans Herz gewachsen. Und ich will ihn mit aller gebührenden Herzlichkeit willkommen heißen.“ Leiser Tadel war in ihrer Stimme zu vernehmen, und Honora wagte keinen weiteren Widerspruch.
Schließlich zeigte ihr die Königin ein Gewand in der Farbe von Kornblumen. „Das ist das richtige Kleid, dieses Blau bringt Euer schwarzes Haar zur Geltung.“ Und mit seitlich geneigtem Kopf fragte sie: „Wieso ist es so kurz? Seid Ihr krank gewesen?“
„Nein, das war nicht der Grund, warum ich es abgeschnitten habe.“ Mehr gab Honora nicht preis, um keine weiteren Fragen beantworten zu müssen. „Darf ich mir einen Schleier ausborgen?“
Isabel blickte Honora lange aus verengten Augen an, als wolle sie die Tiefen ihrer Seele ergründen. Dann holte sie schweigend einen dünnen Schleier aus der Truhe.
Honora atmete erleichtert auf. Unter dem feinen Gespinst konnte sie ihr Haar verbergen und damit unangenehmen Nachfragen entgehen.
Isabel half ihr beim Ankleiden. Zunächst ein weißes schmales Unterkleid, das die Königin Léine nannte, darüber das dunkelblaue Gewand aus kostbarer Seide. Es hatte weite Ärmel, deren spitz zulaufende Enden fast bis zum Boden reichten. Honora nahm sich vor, sehr umsichtig zu sein, um es nicht zu beflecken oder sonst wie zu beschädigen.
Plötzlich klopfte es, und eine helle Stimme sagte etwas auf Gälisch, woraufhin die Königin die Tür zum Gemach öffnete.
Eine dunkelhaarige Frau in einem cremefarbenen Léine und grauem Übergewand trat ein und begrüßte Honora mit einem herzlichen Lächeln.
„Das ist Aileen, Connors Gemahlin“, stellte Isabel sie vor. „Sie versteht sich wie keine andere auf die Heilkunst. Sie will Euch kennenlernen, spricht aber Eure Sprache nicht, also werde ich übersetzen.“
„Eure Sprache“ hatte die Königin gesagt, nicht „unsere Sprache“. Offenbar hatte Isabel alle Bindungen zu ihrer Heimat gelöst.
„Ich bin Eurem Gemahl Connor zu großem Dank verpflichtet. Er hat uns das Leben gerettet“, sagte Honora, während Isabel anschließend übersetzte. Danach fügte Honora noch hinzu, wobei sie sich direkt an die Königin wandte: „Könnt Ihr sie bitten, Ewans Füße zu untersuchen? Er hat sie sich wund gelaufen, aber ich fürchte, er wird nicht um Hilfe bitten, obwohl es nötig ist.“
Isabel übersetzte wieder, wobei Aileen nickte. Danach drückte sie Honora die Hand und sprach schnell auf Isabel ein. Die Königin betätigte sich erneut als Vermittlerin: „Aileen sagt, dass sie sich gern seiner Wunden annimmt. Und sie begrüßt Euch als Ewans Braut.“
Diese Bemerkung versetzte Honora einen Stich ins Herz. „Ich bin nicht seine Braut“, berichtigte sie. „Aber ich werde immer seine Freundin sein.“ Standhaft begegnete sie Isabels skeptischem Blick. Ewan hatte nie von Heirat gesprochen und würde es auch nie tun, das war ihr klar.
Und … wenn sie ehrlich war, wusste sie nicht, ob sie ihm überhaupt je eine gute Ehefrau sein könnte. Ihre erste Ehe hatte sie ihrer Freiheit beraubt, sie war der Willkür ihres Gemahls ausgeliefert gewesen. Sie wollte sich nicht der Täuschung hingeben, dass Ewan sich als Ehemann sehr viel anders verhalten würde.
Jeder Mann wünschte sich eine willfährige Frau, die er beschützen konnte – keine Kriegerin, die sich mit der Waffe verteidigte. Genau wie ihr Vater und ihr verstorbener Gemahl tadelte auch Ewan ihren Kampfgeist und ihr Geschick im Umgang mit dem Schwert. Er weigerte sich, sie so zu akzeptieren, wie sie war.
Der Gedanke war schmerzhaft, denn mit jedem Tag
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