Iron Witch
sie nicht öffnen und hineinsehen. Jedes einzelne war zugenagelt.
Mitten im Raum, auf einer dunkelblauen Samtcouch, saß Simon und beobachtete sie. Maker hatte ihr den Rücken zugekehrt und machte sich an der Vorderseite einer der Uhren zu schaffen. Als Donna ihn auf die Schulter tippte, drehte er sich langsam um und sah sie an – aber da, wo seine Augen sein sollten, waren nur leere Höhlen, und seine Zähne sahen geschliffen scharf und viel zu spitz aus.
Zwölf
D onna schaute, wahrscheinlich zum hundertsten Mal seit sie aufgestanden war, auf ihr Handy. Noch immer hatte Navin sich nicht gemeldet, und im Nachbarhaus rührte sich nichts. Selbst als sie früh morgens aus einem Traum aufgeschreckt war und aus dem Fenster geschaut hatte, schien das Haus der Sharmas irgendwie … verlassen.
Für Navin war es ungewöhnlich, dass er sie nicht zurückrief oder auf ihre SMS antwortete. Gestern Abend, bevor sie ins Bett gefallen war, hatte sie ein paarmal versucht, ihn zu erreichen.
Donna verließ das Haus und schloss sorgfältig die Tür hinter sich. Sie hatte sich fest vorgenommen, nicht den ganzen Tag an Xan zu denken. Allein bei der Erinnerung an den Kuss von gestern Abend kribbelte es bis in ihre Zehenspitzen. Sie wollte ihn so schnell wie möglich wiedersehen, war aber ein bisschen nervös bei dem Gedanken daran. Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich tapfer auf Wichtigeres zu konzentrieren.
Tante Paige war wie immer um halb acht zur Arbeit gegangen. Donna machte sich alleine für ihre täglichen Unterrichtsstunden auf dem Frost-Anwesen fertig. Heute standen praktische Übungen mit Quentin auf dem Lehrplan, einer der seltenen Anlässe, an denen der Erzmeister des Ordens sein Wissen mit einem Anwärter teilte. Sie freute sich nicht wirklich darauf – vor allem nicht nach dem, was gestern passiert war. Vielleicht hatte sie Glück, und Simon hatte sie nicht verpetzt. Träum weiter .
Ihr Blick streifte die Haustür der Sharmas und sie beschloss, noch einen letzten Versuch zu unternehmen, bevor sie sich auf den Weg machte. Sie war zwar schon spät dran, aber Navins Schweigen ließ ihr keine Ruhe. Klar, einmal hatte man ihm sein Handy geklaut, und sie hatte stundenlang versucht ihn zu erreichen, während er bei der Polizei saß und bergeweise Berichte ausfüllte. Aber wie hoch standen die Chancen, dass so was wieder passiert war?
Nur Sekunden nachdem sie geklingelt hatte, riss Nisha die Tür auf, und Donna bekam vor Schreck schier einen Herzinfarkt.
»Nisha! Du bist zu Hause!«
Mit der einen Hand schnippte die Kleine eine lange Haarsträhne über ihre Schulter, während sie mit der anderen heftig ihre Zähne schrubbte. Sie nickte, nahm die Zahnbürste aus dem Mund und antwortete ihr blubbrig durch den weißen Schaum der Zahnpasta.
»Mmm. Großvater war krank. Wir haben ihn gestern besucht und sind erst ziemlich spät nach Hause gekommen. Es geht ihm aber wieder gut.«
Donna nahm die Nachricht, dass es dem Großvater wieder besser ging, nicht wirklich zur Kenntnis. Sie war erleichtert, dass es eine Erklärung für Navins Verschwinden gab. »Wart ihr alle dort? Navin auch?«
»Uh-huh. Du hast ihn grade verpasst. Er hat sich vor einer Minute auf den Weg in die Schule gemacht. Wenn du dich beeilst, kannst du ihn noch an der Bushaltestelle abfangen.«
Donna runzelte sofort die Stirn. »Warum fährt Navin mit dem Bus ?«
Nisha verdrehte die Augen. »Keine Ahnung. Irgendwas stimmt mit seinem Motorrad nicht. Er war deswegen auch richtig mies gelaunt.« Sie schaute auf die pinkfarbene Uhr an ihrem schmalen, braun gebrannten Handgelenk und verzog ihren von Zahnpasta schäumenden Mund. »Ich bin spät dran, Donna, muss los.«
»Klar, sorry. Ich geh dann mal. Danke, Nisha.«
Navins Schwester schloss die Tür und widmete sich wieder ihren Zähnen. Sie hatte wahrscheinlich noch einiges zu tun, bevor sie sich in den täglichen Stress des Sehen-und-Gesehen-Werdens an der Ironbridge Highschool stürzte.
Donna rannte die Straße runter und hielt ihre Tasche fest, damit sie ihr nicht so heftig gegen die Hüfte schlug. An der Ecke bog sie links ab zur Bushaltestelle, die am Ende der nächsten Straße lag. Ihre schwarzen, paillettenbesetzten Turnschuhe dröhnten auf dem Gehsteig. Sie gab alles, um die nächste Straße zu erreichen, damit sie Navin noch rechtzeitig erwischen konnte, bevor die Schule wieder begann und sie sich den ganzen Tag nicht sehen würden. Donna redete sich ein, dass er vielleicht doch in der
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