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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Jacobs möchte allein mit Miss Carter sprechen«, antwortete Watson an Mulligans Stelle. »Und ich finde, wir sollten das respektieren.«
    Adlers Augen wurden schmal. »Ach ja? Warum?« Adler hatte noch nie zu denen gehört, die die Wünsche derjenigen respektierten, die sich hinter vergitterten Türen aufhielten; gleich aus welchem Grund.
    »Weil er wahrscheinlich nur noch wenige Stunden zu leben hat, Captain«, antwortete Watson. »Reicht Ihnen das als Grund?«
    Der Adler, den ich kannte, hätte vermutlich selbst einem Delinquenten auf dem Weg zum Schafott eine letzte Zigarette verweigert, wenn ihm danach war. Jetzt überraschte er mich, indem er zwar noch einen Moment lang sichtlich mit sich rang, dann aber nur nickte und sich mit einer entsprechenden Geste an Nikola wandte, der dem Gespräch bislang schweigend gefolgt war.
    »Dann gehen Sie zu dem Jungen«, sagte er. »Der Doktor soll ihn auf Vordermann bringen. Und das schnell. Ich muss möglichst rasch mit ihm sprechen.«
    Der Doktor , von dem er sprach und der noch nicht einmal eine Armeslänge neben ihm stand, starrte ihn nur aus großen Augen an und fragte sich ganz offensichtlich dasselbe wie ich, nämlich warum er eigentlich nicht mit ihm sprach, sondern über ihn, doch Adler drehte sich einfach auf dem Absatz um und ging, begleitet von seinem Constabler. »Und beeilen Sie sich. Ich habe das Gefühl, dass uns nicht mehr allzu viel Zeit bleibt.«
    Den letzten Satz erriet ich mehr, als dass ich ihn verstand, denn das Gewitter schien sich nun unmittelbar über dem Institut festgesetzt zu haben und tat lautstark seinen Unmut darüber kund, seinen Weg nicht fortsetzen zu können. Ich meinte das Rauschen des Regens sogar hier hören zu können, obgleich ich natürlich wusste, dass das unmöglich war.
    »Er hat recht«, sagte Nikola verstimmt. »Verschwenden wir nicht unsere Zeit, sondern sehen nach dem Jungen. Das wollte ich sowieso.«
    Ich wollte nichts mehr, als bei Allison sein, doch Mulligan stand noch immer mit verschränkten Armen vor der Tür, und er machte auch nicht den Eindruck, den Weg freiwillig freizugeben. Watson deutete auf eine der anderen Zellen und setzte sich in Bewegung, in leiser Empörung über Adlers Benehmen den Kopf schüttelnd und vor sich hin murmelnd.
    Ich warf nur einen flüchtigen Blick durch die offen stehenden Türen, an denen wir vorüberkamen. Mulligan hatte deutlich übertrieben, als er vorhin behauptet hatte, sämtliche Patienten seien aufgewacht. Abgesehen von Jacobs selbst galt das nur noch für zwei weitere Männer und eine Frau mittleren Alters, über deren Identität wir allesamt bisher nichts herausgefunden hatten. Alle anderen waren nach wie vor ohne Bewusstsein, wenn auch deutlich unruhiger als am Morgen. Neben jedem Bett saß eine Krankenschwester (oder ein Pfleger), die die Hand des Kranken hielt, ihren Puls oder ihre Stirn fühlte oder sich anderweitig um sie bemühte, und ich nahm etwas von dem zurück, was ich über Watson gedacht hatte. Zumindest um diese Patienten kümmerte sich Watson so gut es unter den gegebenen Umständen möglich war.
    Obwohl es keinen Grund dafür zu geben schien, hatte Watson auch vor der Tür von Chips ausbruchssicherem Krankenzimmer einen Constabler postiert, der sichtlich mit sich rang, ob er uns überhaupt einlassen sollte, dann aber großzügig beiseitetrat.
    Auch neben Chips Bett saß ein übermüdet aussehender Pfleger, der hastig aufsprang und zu einer Entschuldigung ansetzte, von Watson aber unwirsch unterbrochen und des Raumes verwiesen wurde. Auf einen Wink des Arztes hin folgte er und schloss die Tür hinter sich, während Watson ein modernes Stethoskop unter der Jacke hervorzog und sich unverzüglich daranmachte, den Jungen zu untersuchen.
    Ich erschrak, als ich in Chips Gesicht sah. Jemand hatte den Jungen gewaschen und einigermaßen hergerichtet, doch obwohl alles Blut entfernt worden war und er sogar ein frisches Hemd trug, bot er einen fast noch schlimmeren Anblick als vorhin, denn sein Gesicht und was von seinen Händen und Unterarmen zu sehen war, protzte nun mit unzähligen winzigen halbmondförmigen Wunden, von denen etliche tief genug waren, um sichtbare Narben zurückzulassen. Eines seiner Augen zuckte ununterbrochen, und er zitterte am ganzen Leib, obwohl er sich alle Mühe gab, still zu liegen.
    Trotzdem schien Watson zufrieden mit dem zu sein, was er sah, denn er klappte sein Stethoskop nach kurzer Zeit schon wieder zusammen und bedeutete mir mit einem stummen

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