Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
alles, was er wissen will.«
Nikola sah ihn verwirrt an, dann funkelte er Adler unverhohlen wütend an, wandte sich aber ohne ein weiteres Wort an Watson. »Ich brauche die Baupläne für dieses Gebäude, Doktor.«
»Wozu?«
»Vielleicht finden sich in irgendeinem alten Keller ja noch ein paar Daumenschrauben, die dem Captain nützlich sind, oder sogar noch eine funktionierende Streckbank.«
Adler reagierte nur mit einem verächtlichen Verziehen der Lippen auf diese wenig originelle Spitze und geduldete sich, bis Nikola ging und zuerst Watson und schließlich auch ich ihm folgten. Er zog die Tür hinter sich zu, und der Constabler, der mit uns draußen auf dem Gang blieb, schloss nicht nur die Klappe, sondern nahm auch demonstrativ davor Aufstellung.
»Wenn dem Jungen etwas zustößt, dann werde ich Sie persönlich dafür zur Rechenschaft ziehen, Constabler«, sagte Watson. »Ich hoffe doch, das ist Ihnen klar.«
Er bekam keine Antwort und wandte sich stattdessen noch einmal an mich. »Bitte sehen Sie nach Miss Carter. Und danach würde ich Sie beide gerne in meinem Büro sprechen. Ich muss zuvor nur noch ein dringendes Telefongespräch führen.«
Er ging, ohne eine Antwort abzuwarten, und ich sah ihm mit wachsender Verwirrung nach. »Ich werde nicht schlau aus diesem Doktor. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass er nicht das ist, was er zu sein vorgibt.«
»Sie wissen nicht, wer das ist?«, fragte Nikola in leise verwundertem Tonfall.
»Nein. Sie?«
»Selbstverständlich«, antwortete Nikola, aus irgendeinem Grund plötzlich amüsiert. Er machte jedoch keine Anstalten, mich aufzuklären, sondern deutete mit einer Kopfbewegung hinter sich. »Kommen Sie, Quinn. Suchen wir Allison, bevor dieser Verrückte sie sich als Nächste vornimmt.«
Allison war nicht mehr in Jacobs’ Zimmer, in dem wir sie zurückgelassen hatten, und auch Adlers uniformierter Wachhund war fort. Die Tür stand einen Spaltbreit offen, und Jacobs lag mit halb geschlossenen Augen auf der schmalen Pritsche und starrte ins Leere. Irgendwie spürte ich, dass er noch lebte, aber sehen konnte man es nicht. Wenn er atmete, dann so flach, dass es praktisch nicht mehr erkennbar war. Eine ältere Frau in weißer Pflegermontur und mit einem strengen Haarknoten saß neben ihm auf einem Schemel und hielt seine Hand. Sie tat es ganz eindeutig, um seinen Puls zu fühlen, aber es war dennoch ein Anblick von solcher Vertrautheit, dass ich gerührt stehen blieb und es Nikola war, der zuerst das Wort ergriff.
»Wie geht es ihm?«, fragte er.
»Er ist sehr schwach«, antwortete die Schwester. »Der Doktor kommt gleich noch einmal und sieht nach ihm. Aber ich glaube, er stirbt.«
»Und Allison?«, fragte ich. »Ich meine: Miss Carter?«
»Die junge Frau, die ihn so aufgeregt hat, dass er jetzt in diesem Zustand ist?«, fragte die Schwester, der es offensichtlich trotz aller Mühe nicht gelang, zumindest diese Bemerkung für sich zu behalten. Ihre Hand ergriff die Jacobs’ fester. »Sie ist mit Mulligan gegangen.«
»Mit Mulligan?«, entfuhr es mir. Die Vorstellung, dass Allison – möglicherweise auch noch ganz allein – mit Mulligan irgendwohin unterwegs war, gefiel mir überhaupt nicht.
»Und wohin?«, fragte Nikola.
»Das weiß ich nicht«, behauptete die Schwester. Nur um im nächsten Atemzug hinzuzufügen: »Ich glaube, sie sind unten.«
»Unten?«
Die Schwester wandte sich demonstrativ wieder ganz ihrem Patienten zu. »Sie hat Mulligan nach dem Weg zur Leichenhalle gefragt. Glaube ich.«
Ich tauschte einen beunruhigten Blick mit Nikola, und wir hatten es nun sehr eilig, das Zimmer zu verlassen. Ich wollte mich nach rechts wenden, doch Nikola deutete in die andere Richtung und eilte bereits los. »Dieser Weg ist kürzer.«
»Aha.« Drei Schritte später und vor einer unscheinbaren Tür am Ende des Korridors angekommen fragte ich: »Und woher wissen Sie das, Nikola?«
»Weil ich schon einmal dort unten war«, antwortete Nikola. »Genau wie Sie, im Übrigen.«
Er gab sich nicht einmal die Mühe, überzeugend zu lügen, sondern griff in die Jackentasche und zog einen Schlüsselbund heraus.
»Sie waren schon öfter hier«, vermutete ich. »Und nicht erst gestern.« Warum hatte er mir die ganze Zeit etwas vorgespielt?
»Es ist schon eine Weile her«, räumte Nikola ein, während er bereits die Tür aufschloss und mit sichtlicher Ungeduld darauf wartete, dass ich hindurchtrat. »Damals war hier alles noch etwas … anders. Und nicht so, dass
Weitere Kostenlose Bücher