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Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)

Titel: Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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bösen Spuk aufzusitzen, half mir kein bisschen dabei, mich des Schreckens zu erwehren, mit dem mich selbiger erfüllte. Hastig wandte ich mich vom Fenster ab und ließ meinen Blick durch den überfüllten Raum schweifen, und sei es nur, um etwas zu finden, an das ich mich in der Normalität festhalten konnte.
    Mein Blick glitt über Schränke und Regale voller medizinischer Gerätschaften, Gläser unbekannten (und größtenteils unappetitlichen) Inhalts und Reihen um Reihen medizinischer Bücher, bis er an dem Band mit den zahlreichen Illustrationen hängen blieb, den ich beim letzten Mal hervorgezogen hatte. Ich erinnerte mich mit einem Gefühl heftiger Scham daran, wie mich Allison dabei überrascht hatte, als ich gerade das Bild einer unbekleideten jungen Frau in diesem Bildband betrachtet hatte – und stutzte dann, als ich ein offensichtlich neueres Buch entdeckte, das aus der allgemeinen Papierflut hervorstach: ein aufwendig in teures Leder gebundener und goldgeprägter Band, der an einem exponierten Platz in Griffweite von Watsons Schreibtisch stand.
    Eigentlich ohne triftigen Grund ging ich hin, nahm ihn vom Regal und stellte zu meinem nicht geringen Erstaunen fest, dass es sich um ein Stück Literatur handelte, das ich im Besitz eines Mannes wie Watson niemals erwartet hätte, nämlich einen Kriminalroman um den trotz seines noch recht jungen Alters schon legendären Sherlock Holmes. Und als wäre das noch nicht genug, schlug ich das Buch auf und fand eine persönlich an den Doktor adressierte Widmung, wie sie inniger und herzlicher kaum sein konnte.
    Das Geräusch der Tür drang in meine Gedanken, aber ich war noch immer so benommen, dass ich erst aufsah und mich umdrehte, als Watson mich schon fast erreicht hatte und mir das Buch aus der Hand nahm. Aus irgendeinem Grund schien ich wohl seinen Unmut erregt zu haben, denn er riss mir den Band nicht nur übertrieben grob aus den Händen, sondern schlug ihn auch mit einem noch übertriebeneren Knall zu und rammte ihn regelrecht an seinen Platz zurück. Ohne ein weiteres Wort ließ er sich in seinen betagten Stuhl fallen und knurrte: »Wie ich sehe, geht es Ihnen ja schon wieder prächtig.«
    Ich verstand nicht wirklich, was ich getan hatte, spürte aber instinktiv, dass es besser war, es einfach dabei zu belassen, und nahm wortlos auf der anderen Seite des Tisches Platz – nur um schon im nächsten Moment wieder aufzuspringen, als Adler und ein reichlich mitgenommener Sergeant O’Brien hereinkamen, der gerade noch die Kraft zu haben schien, sich auf den einzigen freien Stuhl neben mir fallen zu lassen. Sein Arm war bandagiert, und sein Gesicht nicht einfach nur bleich, sondern grau.
    »Devlin.« Adler begrüßte mich mit einem angedeuteten Kopfnicken und einem Blick, als erwartete er allen Ernstes von mir, dass ich aufstand und ihm meinen Stuhl anbot. Nicht, dass er nicht so aussah, als hätte er es nötig. Sein Gesicht war genauso fahl wie das seines Sergeant, aber einseitig dunkel verfärbt und schon jetzt so unförmig angeschwollen, dass er vermutlich eine Woche lang nur unter Schmerzen feste Nahrung zu sich nehmen würde. Seine Lippen waren aufgeplatzt, und ich sah, dass er tatsächlich nicht nur einen, sondern gleich drei Zähne verloren hatte. Ich konnte nicht verhindern, ihn mir mit den entsprechenden Goldkronen vorzustellen.
    »Was ist so komisch, Devlin?«, fragte Adler übellaunig. Ich hütete mich, darauf in irgendeiner Weise zu reagieren, nahm mir aber fest vor, in Zukunft noch genauer darauf zu achten, dass meine Gedanken nicht den Weg in meine Mimik fanden. Adler schien das allerdings nicht zu genügen, denn er plusterte sich zu einer noch schärferen Bemerkung auf, von der Watson ihn allerdings mit einer zu gleichen Teilen unwirschen wie müde wirkenden Geste abhielt.
    »Bitte, Inspektor«, seufzte er.
    »Captain.«
    Watsons Reaktion darauf bestand darin, eine Schublade aufzuziehen, aus der er eine schon fertig gestopfte Pfeife nahm und in Brand setzte. Er sprach erst weiter, nachdem er eine dicke graublaue Rauchwolke in unsere Richtung geblasen, Adler zum Husten gebracht und mich daran erinnert hatte, wie lange meine letzte Zigarre schon zurücklag. Genau wusste ich es selbst nicht. Auf jeden Fall zu lange.
    »Ich kann ja durchaus verstehen, dass wir im Augenblick alle ein wenig nervös sind, meine Herren. Aber sind Sie nicht auch der Meinung, dass uns dafür die Zeit fehlt?«
    Ich war nicht ganz sicher, was er mit dafür meinte, und auch

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