Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
Wendeltreppe.
»Nikola, Ihr Forscherdrang in allen Ehren«, sagte Allison, »aber finden Sie, dass jetzt wirklich der richtige Moment ist, um …«
»Ja, genau das finde ich, Allison«, fuhr Nikola ihr in einem harschen Ton über den Mund, den sie offensichtlich nicht von ihm kannte, denn sie wirkte einfach nur verdutzt. Ich sah ihr sogar an, dass sie sich redlich darum bemühte, zornig zu werden, es ihr aber einfach nicht gelang.
Geduldig folgten wir der Spinne, bis die bizarre Verfolgungsjagd ein abruptes Ende nahm. Vor uns lag eine Tür aus massivem Metall, die mit gleich zwei dazu passend dimensionierten Schlössern und einem zusätzlichen schweren Riegel samt Vorhängeschloss gesichert war, und diese so plakativ zur Schau gestellte Abschreckung täuschte uns alle darüber hinweg, dass sie in Wahrheit nicht ganz so unüberwindlich war. Wenigstens nicht, wenn man klein genug war.
Noch bevor Nikola die Gefahr wirklich begriff, robbte die Spinne weiter auf die vermeintlich fugenlose Tür zu und verschwand in einem schmalen Spalt darunter. Nikola fluchte ungehemmt und in einer Sprache, die ich nicht verstand, war mit einem einzigen Schritt bei der Tür und rüttelte ebenso vehement wie vergebens daran.
»So weit, so gut«, sagte Allison. Sie klang fast ein bisschen schadenfroh, auf jeden Fall aber erleichtert. »Sie haben getan, was Sie konnten, Nikola. Überlassen wir den Rest den Fachleuten und rufen die Kammerjäger.«
Nikola maß sie mit einem Blick, in dem nur noch sehr wenig von der Herzlichkeit zu erkennen war, die ich normalerweise darin las, wenn er mit ihr sprach, antwortete aber nicht, sondern drückte mir seine Lampe in die Hand und griff in die Jackentasche. »Halten Sie das«, sagte er überflüssigerweise. »Und leuchten Sie mir.«
Ich meinte, ein sonderbares Kribbeln zu spüren, als ich das Metall berührte, aber ich folgte dennoch Nikolas Aufforderung und sah mit wachsender Verblüffung zu, wie er einen kurzen Draht aus der Tasche zog und diesen mit routinierten Bewegungen sehr schnell zurechtbog, bis er eine Art komplizierten Dietrich bildete.
»So schnell entkommt mir dieses kleine Biest nicht«, sagte er grimmig, während er sich bereits dem Vorhängeschloss zuwandte. »So viele Beine kann sie gar nicht haben, um vor mir wegzulaufen!«
»Jetzt übertreiben Sie es aber wirklich, Nikola«, sagte Allison tadelnd, und Nikola reagierte auch diesmal nicht auf ihre Bemerkung, sondern tat irgendetwas anderes, woraufhin das Vorhängeschloss mit einem Klicken aufsprang und er den Riegel zurückschob.
»Sie können so etwas?«, wunderte ich mich.
»Ich kann alles«, antwortete Nikola, der sich bereits dem nächsten Schloss widmete. »Habe ich das nicht gesagt?«
»Sie haben gesagt, Sie wissen alles«, erwiderte ich. »Nicht, dass Sie alles können .«
»Dieser Unterschied ist allerhöchstens peripher«, antwortete Nikola. »Und jetzt seien Sie bitte einen Moment leise. Ich muss mich konzentrieren.«
Ich schwieg gehorsam und trat ein Stück zurück, um ihn auf keinen Fall zu behindern, hielt die Lampe aber weiter auf die Tür gerichtet. Ihr Licht schien erstaunlicherweise stärker geworden zu sein, und ich spürte das seltsame Kribbeln jetzt deutlicher.
»Was ist das für ein Gerät?«, fragte ich und schnüffelte. Ich konnte weder Petroleum noch Lampenöl riechen.
»Eine Rühmkorff-Lampe«, antwortete Allison.
»Aha. Und was genau ist das?«
Allison hob die Schultern. »Das weiß ich auch nicht. Aber wenn sie eine halbe Stunde Zeit und Lust auf Kopfschmerzen haben, dann fragen Sie Nikola.«
»Das habe ich gehört«, sagte Nikola, ohne auch nur zu uns zurückzusehen. Auch das zweite Schloss sprang mit einem hellen metallischen Klacken auf. Unverzüglich wandte er sich dem letzten verbliebenen Hindernis zu, das ihm sogar noch weniger lange standhielt. Schon nach wenigen Augenblicken nahm er mir die Lampe wieder ab und zog mit der anderen Hand die Tür auf. Angesichts ihres unzweifelhaft enormen Gewichts und des vernachlässigten Zustandes hatte ich das Geräusch von verrosteten Angeln oder wenigstens einen anderen, ein bisschen unheimlichen Laut erwartet, aber sie bewegte sich vollkommen lautlos, und das Öffnen schien Nikola auch keine nennenswerte Kraft zu kosten. Wie es aussah, wurde sie regelmäßig benutzt und sorgsam gewartet.
Zu sehen war dahinter allerdings nichts. Selbst als Nikola den kräftigen Strahl seiner Lampe durch die Tür fallen ließ, verlor er sich einfach in Dunkelheit
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