Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
Gebäudes vermutlich beabsichtigt hatten.
Ich fühlte mich klein und unbedeutend und musste gegen das lächerliche Bedürfnis ankämpfen, der halben Drehung der Tür noch die andere Hälfte folgen zu lassen und gleich wieder hinauszugehen. Die Halle war so groß, dass man meinen konnte, mit einem Luftschiff darin umherfliegen zu können, und gerade so eben noch nicht teuer genug eingerichtet, um protzig zu wirken: An den mit edlen Hölzern vertäfelten Wänden hingen unaufdringliche Gemälde, auf dem Boden lagen kostbare Teppiche, und etliche kleine Sitzgruppen verliehen dem Raum eher das Ambiente eines Hotels der oberen Preisklasse als das des Empfangs eines großen Geschäftshauses. Exotische Topfpflanzen sorgten für Flair, schüchterten mich aber auch noch zusätzlich ein, und wie um sich endgültig daran zu erinnern, dass ich mich zwar noch immer in derselben Stadt aufhielt, dennoch aber in einer vollkommen anderen Welt, erblickte ich in der Wand neben dem Empfang eine der neuesten und kostspieligsten Errungenschaften modernster Technik: die geschlossenen Doppeltüren gleich zweier getriebeloser Aufzüge, mit denen man ruckfrei und völlig sicher in die oberen Etagen hinauffahren konnte, statt die breite Marmortreppe zu benutzen – die ebenfalls eher in ein Luxushotel zu gehören schien als ausgerechnet in ein Belfaster Bürogebäude. Ganz eindeutig, wer hier hereinkam, der sollte sich klein und wie ein Bittsteller vorkommen.
Bei mir verkehrte sich die Wirkung jedoch schnell ins Gegenteil und weckte meinen Trotz, sodass ich forschen Schrittes den Empfang ansteuerte und mich etliche Male ebenso laut wie unecht räusperte, um die Aufmerksamkeit des Portiers zu wecken.
Gerade als der Mann aufsah und mit einem einzigen Blick nicht nur meine äußere Erscheinung einschätzte – wobei er sich keine Mühe gab, zu verhehlen, was er von meinem schäbigen Anzug hielt –, erscholl ein heller Glockenton, und eine der beiden Aufzugkabinen in der Wand glitt auf, um einen einzelnen Fahrgast ins Freie zu entlassen: eine junge Frau mit schulterlangem rötlich-dunklem Lockenhaar, die ein modisches und ganz und gar nicht zur Jahreszeit passendes weißes Sommerkleid trug; vielleicht nicht ganz so hoch geschlossen, wie es sich geziemte, und vor allem von einer sehr mutigen Farbe für eine Stadt mit so schmutziger Luft. Obwohl sie eiligen Schrittes an mir vorbeiging, nahm sie sich die Zeit, mir ein flüchtiges Lächeln zu schenken, und jetzt war es der Portier, der sich räuspern musste.
Ein wenig verlegen, dafür aber umso hastiger händigte ich dem Mann eine der Visitenkarten aus, die ich mir erst vor Kurzem hatte anfertigen lassen und auf die ich insgeheim stolzer war, als ich sollte, und verlangte Jacobs zu sprechen. Ich wurde dergestalt abgefertigt, dass er strengste Anweisung hätte, niemanden ohne schriftlich bestätigten Termin passieren zu lassen.
Natürlich gab ich mich damit nicht zufrieden und beharrte nur umso hartnäckiger darauf, mit Mister Jacobs zu sprechen, was mir aber auch genauso hartnäckig verweigert wurde. Und das nicht mehr ganz so freundlich wie zuvor.
Die einzige Alternative wäre nun gewesen, wirklich grob zu werden, doch dazu fühlte ich mich nicht in der richtigen Verfassung. Außerdem hatte ich mit Jacobs absolute Diskretion vereinbart, wogegen ich streng genommen schon durch den bloßen Umstand verstieß, hier ungefragt hereinzuplatzen. Also hinterließ ich lediglich die dringende Nachricht, am nächsten Tag wiederzukommen, und trollte mich.
Ich kam am nächsten Tag nicht wieder, denn ich verbrachte ihn fast zur Gänze mit Fieber und Schüttelfrost im Bett. Meine Hand hatte sich entzündet. Kein Wunder, war sie doch mit dem Wasser des Kanals in Berührung gekommen. Erst am späten Nachmittag des dritten Tages fühlte ich mich wieder kräftig genug, erneut in Jacobs’ Trutzburg vorstellig zu werden. Ich hatte keine besseren Argumente als zuvor, dafür aber meinen besten Anzug angezogen. Trotzdem sah ich vermutlich noch weit weniger vertrauenerweckend aus als bei meinem ersten Besuch, von anderthalb Tagen Fieber, Schüttelfrost und schlechten Träumen gezeichnet, aber ich versuchte es immerhin und wurde auch angemessen lauter. Das Ergebnis war das, womit ich eigentlich auch hätte rechnen können: Der Portier lächelte unerschütterlich weiter, und auch die beiden großen und teuer gekleideten Männer, die er mit einem diskreten Wink herbeirief, benahmen sich ausgesprochen höflich, während
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