Irondead: Der zehnte Kreis (German Edition)
Adlers immer noch blutender Fingerkuppe auch mit angemessenem Respekt trat ich näher. Das Geschöpf, das Nikola mit sichtbarer Anstrengung zwischen Daumen und Zeigefinger hielt, ähnelte auf verblüffende Weise einer Kakerlake und sah zugleich so anders aus, wie es nur ging. Es war halb so lang wie ein Zeigefinger, aber gut doppelt so dick und hatte einen mehrfach gegliederten Körper, der wie poliertes Metall glänzte (ich hatte das beunruhigende Gefühl, dass er auch genau daraus bestand ), und musste einmal sechs Beine gehabt haben, von denen die vier hinteren allerdings zerquetscht waren – vermutlich der Grund, warum Nikola es überhaupt hatte fangen können. Sein verbliebenes Beinpaar ruderte hektisch, und an seinem dreieckigen Kopf mit den winzigen Glasaugen schnappten noch winzigere, aber rasiermesserscharfe Zangen wie mikroskopische Skalpelle. Was sie anzurichten vermochten, das bewies Adlers Zeigefinger.
»Das ist faszinierend«, staunte Nikola. Seine Augen leuchteten vor Begeisterung, während er das winzige zappelnde Geschöpf näher ans Gesicht hielt, um es eingehend zu betrachten. Die Messing-Kakerlake versuchte mit ihren winzigen Mandibeln nach ihm zu schnappen, und ich meinte ein helles Scharren zu hören, wie winzige Messerklingen, die aneinander vorbeischrammten, und vielleicht war da sogar etwas wie ein wütendes Zischeln, gerade an der Grenze des überhaupt noch Hörbaren.
»Was ist faszinierend?«, polterte Adler. »Eine Kakerlake? Ich muss ein ernstes Wort mit unserem Hausmeister reden!«
Nikola ignorierte ihn. »Ein Glas!«, sagte er. »Ich brauche irgendeinen Behälter! Am besten ein Glas, mit einem Deckel!«
»Was wollen Sie denn …?«, begann einer der Constabler, und Adler blaffte ihn augenblicklich an: »Haben Sie nicht gehört, Owen? Holen Sie ein Glas! Und alle anderen raus hier! Sucht mir diesen verdammten Hausmeister! Oder erschießt ihn am besten gleich!«
Sowohl der Constabler als auch sein Kollege hatten es plötzlich sehr eilig, den Raum zu verlassen, und ein einziger böser Blick Adlers reichte auch, die anderen Beamten zu verscheuchen, die sich draußen vor der Tür drängelten, um einen Blick herein zu erhaschen.
»Was für eine verdammte Schweinerei!«, fuhr Adler eher noch wütender fort. Missmutig betrachtete er seine immer noch blutende Fingerkuppe, setzte dazu an, sie erneut in den Mund zu stecken, und nahm wieder Abstand von der Idee, nachdem er einen weiteren Blick auf das schnappende Etwas in Nikolas Hand geworfen hatte.
»Legen Sie das weg, Nikola!«, verlangte Allison. »Das ist widerlich!« Sie hatte ihre Fassung zurückerlangt, doch ich war nicht ganz sicher, ob ich mich darüber freuen sollte.
»Wo ist die Blaupause?«, fragte sie. »Und die Kontobücher und Lieferlisten?«
Adler starrte sie fassungslos an. »Wie bitte?«
»Sie glauben doch nicht, dass ich auf diesen billigen Trick herein…«
»Seien Sie still«, fiel ihr Adler ins Wort. »Noch ein Laut, und ich sperre Sie wieder ein, und dann hilft Ihnen nicht einmal mehr Ihr Onkel , haben Sie das verstanden?«
Allison riss die Augen auf. »Sind Sie verrückt geworden?«, ächzte sie. »Was fällt Ihnen ein?«
Sie war dabei, sich lächerlich zu machen, begriff ich. Wenn nicht Schlimmeres. Rasch trat ich zwischen Adler und sie, hob besänftigend die Hand und hätte ihr mit meiner Zigarre um ein Haar die Wange verbrannt, hätte sie nicht hastig das Gesicht weggedreht. Das brachte mir nun zwar einen zornigen Blick ein, aber zumindest richtete sich ihr Ärger jetzt gegen mich und nicht mehr gegen Adler, was sicher die bessere Wahl war.
»Wir sollten jetzt vor allem die Ruhe bewahren«, sagte ich. »Das hier ist … wirklich seltsam und ein bisschen beunruhigend, aber ich glaube nicht, dass den guten Captain die Schuld daran trifft.«
»Ausgerechnet den einzigen Beweis verschwinden zu lassen, den es möglicherweise noch gibt?«, fragte Allison.
»Beweis wofür?«, wollte Adler wissen. Er sah immer noch zornig aus, zugleich aber auch plötzlich höchst interessiert.
»Nur eine Theorie«, sagte ich ausweichend, »und keine sehr überzeugende. Wir sollten jetzt vor allem die Ruhe bewahren«, wiederholte ich und wandte mich wieder direkt an Allison, »und vor allem Ihren Onkel nicht noch länger warten lassen. Er ist sicher schon ungeduldig.«
»Ich gehe hier bestimmt nicht ohne die Pläne weg!«, beharrte Allison, was nun wirklich übertrieben war.
Adler zog eine verächtliche Grimasse. »Ich lasse
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