IRRE SEELEN - Thriller (German Edition)
Tapete mit braunen Blumen; ein Bett mit eisernem Rahmen, cremefarben lackiert, darauf eine durchgelegene Matratze, die während unzähliger Nächte, die der bettnässende Zimmerbewohner auf ihr verbrachte, hässliche Flecken bekommen hatte. Ein schief hängendes Bild an der Wand, Susanna und die Alten von Thomas Hart Benton, gezupfte Augenbrauen, wohlgeformte Brüste, eine deutlich sichtbare Vagina und Männer, welche die Frau betrachteten. Randy! Ich bin hier, Randy!
Randy sah zur Wand hin. Auf halber Höhe erkannte er im schwachen Morgenlicht, dass die Tapete sich gewölbt hatte. Die Wölbung sah aus wie das Gesicht eines Mannes – fast, als ob die Dekorateure die Tapete einfach darübergeklebt hätten. Die Augen des Mannes waren geschlossen, aber er lächelte. Er sah nett aus, aber besaß eine Ausstrahlung, die einen misstrauisch werden ließ; so wie einer dieser Witzbolde, die einem den Stuhl wegzogen, wenn man sich gerade hinsetzen wollte.
Randy starrte die Visage an und zitterte. Er wusste nicht, ob da wirklich ein Mann war oder nicht. Wie sollte er echt sein, wenn man ihn hinter einer Tapete eingekleistert hatte? Man konnte schließlich nicht atmen mit Tapete auf der Nase, oder? Außerdem bewegte er sich nicht, also war er nicht real, sondern nur eine Statue aus brauner Pappe.
Randy hielt auf ihn zu. Der Linoleumboden war grün gestreift und wies an manchen Stellen schwarze und weiße Quadrate auf, die an die geschlitzten Augen einer Katze erinnerten. Der Mann lächelte und rührte sich immer noch nicht. Erstaunlicherweise zeichnete sich jedes Detail seines Gesichts auf der Tapete ab: seine Augenlider, seine Lippen, das gespaltene Kinn. Randy starrte ihn an und wusste nicht, was er tun sollte.
Hast du Angst, Randy? Du brauchst keine Angst zu haben.
»Bist du echt?«, erkundigte er sich mit vor Furcht ganz brüchiger Stimme.
Es kam keine Antwort. Randy stand da, starrte das Gesicht des Mannes an und wusste nicht, was er davon halten sollte. Er konnte ja nicht echt sein, oder? Und doch schien er zu atmen. Man konnte ihn nicht wirklich atmen sehen und doch tat er das offensichtlich. Man konnte es hören und fühlen. Ein – aus. Ein – aus. Eine hastige, unauffällige Atmung wie bei jemandem, der sich vor einer Bedrohung in einem Schrank versteckte.
»Du bist nicht echt!«, rief er laut. »Du kannst nicht echt sein!«
Was ist denn für dich echt, Randy? Hältst du dich für echt, so wie du da draußen in der Kälte stehst?
Randy biss sich auf die Lippe. Er war kurz davor, aus dem Zimmer zu stürmen und wieder nach unten zu rennen. Aber obwohl der Tapetenmann ihm merkwürdig erschien, flößte er ihm doch keine Furcht ein. Er hatte etwas Kindliches an sich, wie der verrückte George, der für den alten Hamner im Laden an der Ecke arbeitete.
»Kannst du sprechen?«, fragte Randy ihn, während er einen zögerlichen Schritt nach vorne wagte. »Kannst du die Augen öffnen?«
Es gibt keinen Grund für mich, die Augen zu öffnen. Niemand ist so blind wie die, die nicht sehen wollen.
»Wer bist du?«, wollte Randy wissen. »Wieso ist dein Gesicht in der Wand eingemauert?«
Ich heiße Lester. Na ja, manchmal heiße ich Lester. Oft auch Belphegor. Ist ein cooler Name, oder? Belphegor.
»Warum ist dein Gesicht in der Wand?«
Warum bist du überhaupt hier, Randy? Du heißt doch Randy, oder? Ich habe gehört, wie dein Vater dich Randy genannt hat.
»Mein Dad will dieses Haus kaufen und zu einem Hotel umbauen.«
Will er das? Nun, da wird sich so mancher ziemlich drüber freuen. Manche nicht, denn manche wollen, dass alles so bleibt, wie es ist. Aber einige werden sich freuen.
»Ich weiß nicht. Mir gefällt dieser Ort nicht. Es ist alles so alt hier und es stinkt.«
Nun, das mag sein. Aber wenn du herkommen würdest, um hier zu leben, hättest du etliche neue Freunde.
»Aber wir sind doch mitten in der Pampa!«, protestierte Randy. »Wer lebt denn schon hier draußen?«
Wir. Wir alle. Und wir könnten deine Freunde sein. Und ich könnte dein ganz besonderer Freund werden.
Randy zögerte. Er konnte die Schritte seines Vaters hören, der die Treppe erklomm, gefolgt vom Klipp-Klapp von Karens abgewetzten Absätzen.
»Ich muss los!«, sagte er zu dem Gesicht.
Komm mal her, komm näher zu mir, bat ihn das Gesicht.
»Lieber nicht.«
Komm näher. Willst du, dass wir Freunde werden?
»Klar, aber …«
Dann komm näher.
Randy trat auf die Wand zu und legte vorsichtig eine Hand darauf, genau unter das
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