Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Beeinträchtigung. Doch
manchmal auch nicht. Und da wir nicht Diagnosen behandeln, sondern Menschen, und diese Menschen mit ihren Zielen im Mittelpunkt stehen, war in diesem besonderen Fall die Konsequenz für mich klar.
Ich habe es später mit erfahrenen Patienten immer so gehalten, dass ich den Patienten den jeweiligen Stand der Wissenschaft erläutert habe, so dass sie dann selbst entscheiden konnten, welches Medikament sie in welcher Dosis nehmen wollten. Selbstverständlich habe ich nur Therapieziele und Therapiemethoden akzeptiert, die ich ethisch verantworten konnte, doch zu Konflikten ist es da kaum je gekommen. Denn Patienten sind in aller Regel vernünftige Menschen. Und warum sollen sich vernünftige Menschen auf Dauer selber schaden wollen?
Der moderne Dienstleistungsgedanke steht der Psychiatrie gut an und vielleicht auch die Erinnerung an die mittelalterlichen Krankenanstalten der Johanniter, die stets von ihren »Herren, den Kranken« sprachen. Orte der Freiheit in der Psychiatrie können auch Gespräche mit Seelsorgern der jeweiligen Religion sein. Denn das sind keine zum Zweck der Behandlung geführten therapeutisch-methodischen Gespräche, bei denen sich der Therapeut letztlich bedeckt hält, sondern das ist im besten Fall ein freier Austausch von Existenz zu Existenz.
Die religiöse Perspektive ist eine kollektive Form der existenziellen Perspektive. Ausnahmslos alle psychischen Situationen kann man unter religiöser Perspektive sehen: als Fügung Gottes, als Versuchung des Teufels. Das ist aus wissenschaftlicher Sicht nicht wahr, das ist aber auch nicht falsch. Vielmehr mag die religiöse Perspektive in jedem einzelnen Fall angemessen oder unangemessen, nützlich oder wenig nützlich sein. So ist in einer schweren Depression die wahnhafte Vorstellung eines Menschen, von Gott verlassen oder des Teufels zu sein, eine kranke Vorstellung. Der Patient kann sich ohne Behandlung von dieser Vorstellung nicht lösen. Man wird als religiöser oder
als atheistischer Psychiater dieser Vorstellung nachdrücklich widersprechen. Doch wenn ein Mensch im Nachhinein seine Erkrankung als Prüfung Gottes oder als Versuchung des Teufels interpretieren will, dann ist das eine mögliche Perspektive eines bestimmten Patienten, die jedenfalls aus psychiatrischer Sicht nicht zu widerlegen ist. Wenn Psychiater und Psychotherapeuten auf diese Weise die Religiosität von Patienten respektieren, dann ist es nicht erforderlich, dass religiöse Menschen von religiösen Psychiatern behandelt werden. Manchmal kann das sogar schädlich sein, dann nämlich, wenn bei bestimmten Therapeuten die Gefahr besteht, dass die notwendige Grenze zwischen Psychotherapie und Seelsorge verwischt wird.
Am Beispiel der religiösen Perspektive wird noch einmal besonders klar, dass es bei den unterschiedlichen Sichtweisen, unter denen man psychische Phänomene sehen kann, nicht um die Wahrheit geht. Frühere Auseinandersetzungen zwischen therapeutischen Schulen darüber, ob nun die biologische, die psychoanalytische, die verhaltenstherapeutische oder irgendeine andere Sicht wahr sei und alle anderen daher falsch, sind inzwischen glücklicherweise überwunden. Der alte Gedanke des Aristoteles, dass die Diagnose ja nur den Zweck hat, zu einer guten Therapie zu helfen, hat dazu beigetragen, ideologische Debatten zu überwinden. So ist von einem modernen Psychiater und von einem modernen Psychotherapeuten die Fähigkeit zum Perspektivwechsel gefordert. Man muss viele Methoden kennen und dann die für den Patienten und übrigens auch für den Therapeuten angemessenste Methode wählen.
III Wie behandeln?
1. Eine künstliche Beziehung auf Zeit für Geld - Kleine Einführung in die Psychotherapie
Was hilft? Die Auswahl ist groß. Über fünfhundert Methoden stehen zur Verfügung. Muss man sie alle kennen? Muss man sie alle testen, um die zu finden, die angemessen ist? Jemand hat behauptet, es gebe so viele Psychotherapiemethoden, wie es Psychotherapeuten gibt. Es bleibt also gar nichts anderes übrig, als Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden. Manche Methoden waren früher wie Ersatzreligionen organisiert und profilierten sich durch stabile Feindbilder. Doch der Pulverdampf hat sich verzogen. Was die Vor- und die Nachteile einer Therapieform sind, das sieht man nun nüchterner. Klar ist, dass seriöse Psychotherapie keine Wahrheitslehre ist wie eine Religion. Andererseits muss sie sich von schlichter Alltagskommunikation
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