Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Sorte störte das nicht weiter, denn die »Wahrheit« ist durch mangelnden Effekt natürlich nicht widerlegbar. Doch klügere Vertreter ihres Faches erkannten die Gefahr, die der Psychoanalyse hier drohte. Sie überwanden die alten wissenschaftstheoretischen Probleme, konzipierten die Psychoanalyse neu und korrekt als Geisteswissenschaft und begannen mit Effizienzstudien. Zwar blieben auch sie, selbst im Widerspruch, auf manchmal rührende Weise dem Übervater Freud verbunden. Beschwörend, aber mit feiner Ironie hebt der glänzende Analytiker Otto Kernberg bisweilen die Hände zum Himmel: »Heiliger Sigmund, verzeih mir!« Nicht jeder aber ist so souverän. Ein entscheidendes Problem blieb die Konzentration
auf die Vergangenheit und dabei insbesondere auf die Kindheit des Patienten. Am klugen Umgang mit diesem Aspekt kann man gute von schlechten Analytikern unterscheiden. Die feste Verankerung der derzeitigen Störung in Phänomenen der Vergangenheit kann psychologisch im schlechtesten Fall suggerieren, dass die Störung unveränderbar ist, denn seine Vergangenheit kann der Mensch definitionsgemäß nie mehr loswerden. Und wenn die derzeitige Störung im Wesentlichen mit einer Vergangenheit zu tun hat, die man nicht loswerden kann, wie soll man dann die Störung selbst loswerden? Die Konzentration auf Vergangenes und auf die Defizite des Patienten können bei ungeschickter Handhabung sogar das bewirken, was man »Psychotherapiedefekt« genannt hat: die Herstellung einer psychischen Störung durch Psychotherapie.
Eines Tages kam zu mir ein erfolgreicher Medienmensch, der in so eine Behandlung geraten war. Nach einigen Wochen der Überlegung, ob er nicht doch irgendwelche Macken besitze, war dieser eigentlich höchst selbstbewusste Mann völlig verunsichert. Denn mit der Pseudoautorität geheimnisvollen Psychowissens war ihm ausdauernd nahegelegt worden, seinen eigenen psychischen Bauchnabel kritisch zu betrachten. Jetzt also ging es ihm erwartungsgemäß herzlich schlecht. Die Therapie musste nun darin bestehen, mit psychotherapeutischer Autorität nachdrücklich den Scheinwerfer der Aufmerksamkeit wieder auf die reichlich vorhandenen Fähigkeiten und Kräfte dieses Psychotherapieopfers zu lenken. In kürzester Zeit war der Patient kein Patient mehr, sondern wieder er selbst.
Klassisch für die bedenklichen Nebenwirkungen eher defizitorientierter Methoden ist der chronisch unglückliche Gesichtsausdruck von Woody Allen, der sich in seinen Filmen in all die psychoanalytischen Deutungen seiner selbst und anderer verstrickt und offensichtlich aus diesem Gestrüpp keinen Ausweg mehr findet: »Was sagt denn dein Psychoanalytiker dazu?« Der schwarze Humor Woody Allens ist freilich vor allem eine Satire auf die haarsträubenden Popularisierungen der Psychoanalyse. Da meint jeder akribische Illustriertenleser
genau zu wissen, dass Irritationen in der oralen Phase (das erste Lebensjahr) - zu früh den Schnuller, zu spät den Schnuller, zu lange den Schnuller - unvermeidlich zum »oralen Charakter« führen und damit zu Sucht und anderen schweren Störungen. Ganz schlimm aber trifft es die Menschen, die Probleme in der darauf folgenden analen Phase haben - zu früh auf den Pott, zu spät auf den Pott, oder gar neben den Pott... Da droht unabweislich der aggressive hinterfotzige »anale Charakter« mit der beruflichen Perspektive: Buchhalter oder Massenmörder. Zugegeben, das sind kabarettreife Missverständnisse der Psychoanalyse, aber sie sind keineswegs selten.
Doch entscheidend ist gar nicht unbedingt die verwendete Methode. Wie gut oder wie schlecht eine psychoanalytische Behandlung wirkt, wie kurz oder wie lang sie dauert, hängt wie bei allen psychotherapeutischen Behandlungen wesentlich von der Person des Therapeuten ab. Es gibt brillante lebensweise Psychoanalytiker, die manche Sackgassen der Psychoanalyse verlassen haben, sich modernen wissenschaftlichen Standards stellen und sehr erfolgreich Therapie machen. Neben dem Therapeuten ist natürlich auch der Patient selbst und die Art seiner psychischen Störung für den möglichen Erfolg dieser speziellen Therapie wichtig. Deswegen sind Probesitzungen erforderlich, damit Therapeut und Patient feststellen können, ob »die Chemie stimmt«. Leider sind wir längst nicht so weit, genau angeben zu können, bei welchem Patienten und welcher Störung welche Methode und welcher Therapeut wohl am effektivsten sein werden. Wenn Menschen in ihrem Leben immer wieder
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