Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
arbeitete motiviert mit. Schließlich war sie auf der Skala bei 8 gelandet und erklärte, es ginge ihr jetzt gut genug, sie wolle die Behandlung beenden. Wenige Monate später erhielt de Shazer eine Urlaubskarte aus weiter Ferne. Sie enthielt einen überschwänglichen Dank der Patientin, der damit endete »... und übrigens, ich bin jetzt auf 12«. Nie hat de Shazer erfahren, um welches Problem es sich eigentlich handelte, doch die Lösung hatte er dennoch höchst erfolgreich mit der Patientin konstruiert.
Damit soll die gewiss knappe und willkürliche Auswahl von Psychotherapiemethoden beendet werden. Manches könnte man noch näher beleuchten. So ist die Gesprächspsychotherapie von Carl Rogers eine bewährte Methode. Dabei hält sich der Therapeut mit Deutungen zurück und lässt den Patienten in einer Atmosphäre der Akzeptanz zu sich kommen. Die moderne Psychotherapie hat sich in den gerade mal einhundert Jahren ihres Bestehens stürmisch entwickelt. Aus den Zeiten der Kämpfe ist inzwischen ein respektvolles Miteinander geworden. Man integriert in die eigene Therapieform nützliche Aspekte der anderen Schulen und besinnt sich auf die Grundfragen. Wenn Psychotherapie eine künstliche, asymmetrische, zielgerichtete, methodische Beziehung auf Zeit für Geld zwischen einem leidenden Patienten und einem methodenkundigen Therapeuten ist, dann ist sie ein klar definiertes Projekt. Definiert heißt übersetzt begrenzt. Und begrenzt ist bei seriöser Psychotherapie auch immer der Erfolg.
Das Glück oder gar den Sinn des Lebens hat sie nicht im Angebot und die Herstellung des perfekten Menschen auch nicht. Psychotherapeuten sind nicht weiser und lebenserfahrener als andere Menschen. Ohnehin sind psychotherapeutische Gespräche stets nur die zweitbeste Form der Kommunikation. Sie sind immer künstlich, wenn sie gut sind kunstvoll, aber niemals
unmittelbar. Die beste Form der Kommunikation sind auch für Schizophrene, Depressive und andere die Gespräche mit Metzgern, Bäckern und Verkäuferinnen, also mit normalen Menschen. Nur wenn das nicht mehr funktioniert, weil die psychische Störung zeitweilig zu ausgeprägt ist, müssen die Psychoexperten ran, aber auch nur so lange, bis die erstbeste Form der Kommunikation wieder klappt. Daher ist Kürze eine ethische Forderung an jede Therapie. Denn Therapie ist Arbeit und sie ist nicht das eigentliche Leben. Vielmehr soll sie möglichst schnell dazu verhelfen, dass Menschen ihr Leben wieder lustvoll leben können - und alle Psychos vergessen.
So ist Bescheidenheit ein Signum jeder guten Psychotherapie. Bei aller Vielfalt der Methoden ist Psychotherapie nur eine von vielen Behandlungsmöglichkeiten, die manchmal hilft, selten schadet und immer mit Vorsicht einzusetzen ist. Denn jede Methode, die Wirkungen hat, hat stets Nebenwirkungen. Dieser pharmakologische Grundsatz gilt auch für die Psychotherapie. Der bekannte Psychoanalytiker Christian Reimer hat die erschütternden Formen von Missbrauch der Patienten durch allzu lange Psychotherapien aufgedeckt. Lange war dieses Thema tabuisiert. Reimer zitierte den wütenden Brief einer Therapeutin an ihre Patientin, die nach über 10-jähriger Therapie - völlig zu Recht - die Behandlung abgebrochen hatte. Die narzisstische Selbstverliebtheit von Therapeuten kann aus Therapien krankhafte Arrangements machen. Wenn der Therapeut sich für das Ein und Alles des Patienten hält, dann führt er den Patienten nicht, wie in jeder guten Therapie, in die Freiheit, sondern in Unfreiheit und Abhängigkeit. Steve de Shazer hat darauf bestanden, dass lösungsorientierte Therapie immer auch die Lösung vom Therapeuten beinhalten muss, und zwar möglichst schnell. »Kurzzeittherapie ist nützlich für Patienten, aber nicht nützlich für Kurzzeittherapeuten« stand an der Tür zu seinem Behandlungszimmer.
2. Zu guter Letzt - Körperlich behandeln, um die Seele zu heilen?
a) Kontroversen - Glanz und Elend der Psychochemie
Kürzlich wurden Akademiker in Deutschland befragt, welche Behandlungsmethode bei Schizophrenie die richtige sei, »Medikamentöse Therapie«, »Medikamentöse Therapie und Psychotherapie« oder »Psychotherapie alleine«. Die weit überwiegende Mehrheit entschied sich für »Psychotherapie alleine«. Das aber wäre eindeutig ein ärztlicher Kunstfehler. Woran liegt dieses merkwürdige Vorurteil gegenüber Psychopharmaka?
An den Psychopharmaka jedenfalls nicht. Denn sogar die Psychotherapieschulen selbst haben
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