Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
schreckliche Qualen werde erleiden müssen und dass wir alle mit den finsteren Mächten, die hinter ihm her seien, unter einer Decke steckten.
Der Mann war Mathematiker, hochintelligent, doch wie immer man es anstellte, seinen ihn fürchterlich ängstigenden Verfolgungswahn konnte man ihm nicht ausreden. Genau das zeichnet den Wahn ja aus, dass man ihn nicht mit Argumenten beseitigen kann. Sollte das dennoch gelingen, hätte man damit nicht die gesamte Psychiatrie widerlegt. Denn dann war es kein Wahn, sondern allenfalls eine fixe Idee nach dem bekannten Motto: »Bumerang ist, wo wenn man wegwirft und kommt nicht wieder, ist keiner gewesen.« Dem Patienten nun wurden so genannte Neuroleptika verabreicht, zunächst zur Wirkungsbeschleunigung als Spritze, dann als Tropfen, später als Tabletten. Und siehe da, nach etwa vier Wochen hatte der Patient sich von seinem Wahn komplett distanziert und fragte mich ratlos: Sagen Sie, Herr Doktor, wie konnte ich eigentlich auf so einen Unsinn kommen? Als die Medikamente etwas reduziert wurden, kamen die Wahngedanken in milderer Form wieder,
so dass der Patient darauf bestand, die Dosis wieder zu erhöhen. Die Medikamente und ganz sicher nicht unsere Gespräche hatten diesen Patienten geheilt. Sie hatten nicht seine Freiheit eingeschränkt, sondern im Gegenteil, sie hatten ihm wieder die Freiheit gegeben, das denken zu können, was er selbst denken wollte. Denn die irrsinnigen kranken Wahngedanken hatten ihn ja am freien eigenständigen Denken gehindert.
Psychopharmaka müssen so eingesetzt werden, dass sie befreiend wirken. Alles andere wäre in der Tat unverantwortliche Manipulation. Ähnliches wie von der Schizophrenie gilt von schweren Depressionen, die mit antidepressiven Medikamenten geheilt werden können. Neuroleptika und Antidepressiva, die es seit über 50 Jahren gibt, machen niemals abhängig, und die modernen Präparate haben viel weniger Nebenwirkungen als ihre älteren Vorgänger. Das gilt bei Neuroleptika von einem kurzfristig auftretenden vorübergehenden Parkinson-Syndrom (Steifigkeit, Unbeweglichkeit und Zittern) sowie einer Gehunruhe und vor allem von unwillkürlichen Bewegungen, die nach langer Gabe auftreten können. Natürlich gibt es Fälle, wo jemand zu viele Medikamente bekommt. Dann wirken Patienten tatsächlich so, als seien sie »mit Medikamenten vollgestopft«, als seien sie »ruhiggestellt«, wie ein anderer schrecklicher und oft gehörter Ausdruck heißt. Neuroleptika und Antidepressiva stellen aber, richtig eingesetzt, nicht ruhig. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn durch richtig eingesetzte Medikamente ein schizophrener Patient von seinen entsetzlichen Wahnvorstellungen geheilt ist, dann kann er wieder aktiv am Leben teilnehmen. Wenn ein schwer Depressiver von seiner Depression befreit ist, dann ist er nicht »ruhiggestellt«, sondern er kann wieder vitaler und dynamischer auf andere Menschen zugehen. Zu allem Überfluss können sie in gesunden Phasen auch vorbeugend wirken. So gilt in diesen wie in vielen anderen Fällen: Medikamente, also Psychopharmaka, können bei einigen psychischen Erkrankungen eine wichtige Option sein. Auf ihre Gabe zu verzichten, wäre unterlassene Hilfeleistung.
Wenn freilich nur allgemein über Psychopharmaka geschimpft wird, dann schimpfe ich immer gern mit. Denn die Psychopharmaka, die immer noch am meisten genommen werden, sind die so genannten Benzodiazepine, Beruhigungsund Schlafmittel mit zum Teil hohem Abhängigkeitspotenzial. Die aber nehmen viele Menschen völlig kritiklos ein, obwohl schon eine 4-wöchige Einnahme in einigen Fällen zur Abhängigkeit führen kann. Zwar gibt es auch für diese Medikamente eine »Indikation«, das heißt einen medizinischen Grund, sie zu verordnen. Man kann sie zeitweilig bei schweren Ängsten und anderen Unruhezuständen, aber auch bei erheblichen Schlafstörungen einsetzen. Freilich nur so lange wie unbedingt nötig. Doch gerade bei solchen »happy-pills« wird oft hemmungslos bagatellisiert. Auf Dauer aber machen Benzodiazepine nicht glücklich, sondern süchtig.
»Herr Doktor, ist das heilbar?« Merkwürdigerweise hört man diese Frage wohl am häufigsten von Angehörigen psychisch Kranker. Die Antwort wird in den allermeisten Fällen ein klares »Ja« sein. Denn natürlich kann man heutzutage gerade mit Hilfe von Psychopharmaka eine schwere Depression heilen, so dass jemand genauso fit ist wie vor der Depression. Sogar die Mehrzahl der Schizophrenen kann
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