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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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inzwischen den Alleinvertretungsanspruch in der Behandlung von psychischen Störungen aufgegeben. Man musste einfach einsehen, dass bei gewissen psychischen Störungen auf Medikamente nicht verzichtet werden kann, ja dass Medikamente bei ganz bestimmten Diagnosen sogar die entscheidende heilende Wirkung haben. Das gilt vor allem für die Schizophrenie und schwere Depressionen. Viele Menschen sind aber darüber erschreckend wenig informiert, was tragische Folgen haben kann. Die lockere Bemerkung irgendeines Gesprächspartners, man solle sich doch nicht »mit Medikamenten vollstopfen lassen«, hat schon manchen Patienten so verunsichert, dass er seine Medikation einfach abgesetzt hat, wieder erkrankte - und sich umbrachte. So ist gerade bei diesem Thema Aufklärung angesagt.
     
    Als wir im Studium erste Einblicke in die Psychiatrie bekamen, war auch ich zuerst den Psychopharmaka gegenüber skeptisch. Medikamente gegen Diabetes, gegen Herzschwäche oder andere körperliche Erkrankungen waren für mich keine Frage. Der Körper braucht diese Substanzen, weil er sie selbst krankheitsbedingt nicht mehr ausreichend herstellt, oder sie helfen ihm, die Krankheit zu überwinden oder wenigstens damit einigermaßen erträglich leben zu können. Doch wie ist das bei
der Psyche, bei der Seele des Menschen? Man hat ein ungutes Gefühl, wenn auch hier chemisch, also mit Medikamenten, eingegriffen werden soll. Ist ein solcher Eingriff nicht in jedem Fall eine Manipulation, eine Freiheitsberaubung? Selbst wenn der Patient dem zustimmt, darf der Arzt so etwas machen?
     
    Vielleicht hat diese Scheu damit zu tun, dass die alte platonische Tradition die Seele streng vom Körper schied. Bei den Neuplatonikern war die Seele das Eigentliche, der Körper bloß ein vorübergehendes garstiges Gefängnis der edlen Seele. Die Christen freilich lehnten eine solche gespaltene Sicht des Menschen ab. Denn sie glaubten ja an die »Fleischwerdung Gottes«, aus neuplatonischer Sicht ein geradezu Ekel erregendes, gotteslästerliches Ereignis. Und so nahmen die Christen für ihre Definition der Seele nicht Platon, sondern seinen Schüler und Widerpart Aristoteles in Anspruch und definierten mit ihm auf dem Konzil von Vienne 1313 die Seele als »forma corporis«, als formende Kraft des Körpers. Diese Definition ist für den Westen bestimmend geblieben bis hin zur Definition des Todes durch die deutsche Bundesärztekammer: »Das Ende des Organismus in seiner funktionellen Ganzheit« sei der Tod, nicht bloß die Abwesenheit geistiger Regungen. Die Seele wurde also aus dieser Tradition heraus in engster Beziehung zum Körper gesehen, dessen belebendes Prinzip sie ist. Streng genommen können Christen sich daher die Seele ohne beseelten Leib gar nicht gut vorstellen. Der Zustand zwischen dem Tod des Menschen und der »Auferstehung des Fleisches« ist für Christen ein uneigentlicher Zustand der Seele. Aus einer solchen ganzheitlichen Sicht heraus ist eine Behandlung seelischer Störungen mit Medikamenten kein prinzipielles Problem. Denn so gesehen hat jede seelische Einwirkung auf einen Menschen ohnehin körperliche Auswirkungen und eine körperliche Einwirkung ebenso seelische Auswirkungen. Das ist der heutigen wissenschaftlichen Sicht des Menschen sehr viel näher als das platonische Denken. Aus einer solchen ganzheitlichen Sicht ist dann Psychopharmakotherapie keine Grenzüberschreitung, weil es eine solche Grenze gar nicht gibt.

     
    Wir wissen heute einerseits, welche körperlichen Auswirkungen Psychotherapie im Gehirn hat. Und andererseits ist schon lange bekannt, welche psychischen Auswirkungen körperliche Veränderungen im Gehirn haben. Und daher ist klar: Manchmal wird die körperliche Einwirkung durch Medikamente nützlicher sein, manchmal die psychotherapeutische - und in vielen Fällen wird man von beidem profitieren wollen.
     
    So ist theoretisch eigentlich gegen Psychopharmaka nichts einzuwenden, aber es blieb bei mir ein mulmiges Gefühl. Am Beginn meiner Ausbildung erlebte ich dann, wie ein schizophrener Patient in hochakutem Zustand eingeliefert wurde. Er hörte Stimmen, hatte also akustische Halluzinationen, die ständig sein Verhalten mit abfälligen Bemerkungen kommentierten und die ihm Befehle gaben. Dabei war er vollständig orientiert, wusste genau, wo er war, konnte vernünftig und differenziert über die politische Lage und Ähnliches reden. Doch von einem war er wahnhaft betonartig überzeugt: dass er verfolgt werde, dass er

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