Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Denn der Alkoholkonsum hat oft durchaus nachvollziehbare Motive: Probleme, Unsicherheit, Langeweile etc. Wenn ein Mensch da bloß auf Alkohol verzichtet, hat er die gleichen Probleme, die gleiche Unsicherheit, die gleiche Langeweile, nun aber ohne Alkohol. Das macht es auch nicht besser. Was also kann man bei Problemen, Unsicherheit und Langeweile tun anstatt des bisher irgendwie hilfreichen Alkoholkonsums?
Wichtig ist es, die Angehörigen einzubeziehen, die oft seit Jahren ebenfalls unter der Abhängigkeit des Patienten leiden. Doch es muss klar sein, dass die Verantwortung für die Therapie beim Patienten bleibt. Nicht selten ergeben sich in Suchtfamilien Konstellationen, die man das »Drama-Dreieck« genannt hat. Da gibt es die »Retter«, die powern sich aus, um den Patienten, nennen wir ihn Willi, zu retten. Sie räumen ihm die Flaschen weg, rufen montags beim Arbeitgeber an, um ihn wegen »Grippe« zu entschuldigen, halten die Fassade gegenüber Nachbarn und Freunden aufrecht. Oft sind das die Ehefrauen. Und dann gibt es da die »Verfolger«, meist pensionierte »Retter«, die jahrelang versucht haben, Willi zu retten, immer wieder enttäuscht wurden, weil alle heiligen Schwüre gebrochen
wurden, und die jetzt nur noch sauer sind auf Willi. Zwischen beiden Gruppen entwickelt sich dann ein Titanenkampf. Die »Verfolger« beschuldigen die »Retter«, dass sie es sind, die es dem Patienten immer weiter ermöglicht haben zu trinken. Damit haben sie gar nicht so unrecht. Und die »Retter« ihrerseits beschuldigen die »Verfolger«, dass sie den Patienten mit ihrer andauernden ätzenden Kritik immer wieder in die Sucht treiben. Auch nicht ganz falsch. So tobt der Kampf zwischen »Rettern« und »Verfolgern« - und Willi kann in Ruhe weiter trinken, denn um den kümmert sich keiner. Wenn die beiden Parteien sich besinnen und überlegen, wer hier eigentlich trinkt, dann erst richtet sich beider Blick auf Willi und dann wird klar, dass der es ist, der entscheiden muss, und dann gibt es die Chance für eine erfolgreiche Therapie.
Wenn Probleme im Bereich der drei F - Firma, Frau, Führerschein - entscheidende Anzeichen für das Bestehen einer Alkoholabhängigkeit sind, dann ist verständlich, dass vor allem die Firma der Ort ist, wo dem Patienten sein Alkoholproblem klargemacht werden muss. Denn die Angehörigen stehen in enger emotionaler Beziehung zum Patienten und sind daher in der Regel von der Aufgabe überfordert, den Süchtigen mit seinem Problem zu konfrontieren. Wer den Führerschein wegen Alkohol verliert, hat dabei ja schon Menschen in Lebensgefahr gebracht. Und so sind betriebliche Suchtkrankenhilfen wichtig, die süchtigen Mitarbeitern Wege aus der Sucht weisen und dafür sorgen, dass Vorgesetzte das Problem angemessen ansprechen. Reagiert man hier nur aus dem Bauch heraus, dann wird die Sucht des Mitarbeiters erst lange toleriert und gedeckt, denn Alkoholiker sind oft sehr beliebte Mitarbeiter, die mit ihrer Hilfsbereitschaft unbewusst die Konfrontation mit ihrem Problem vermeiden wollen. Doch irgendwann nimmt die Sucht überhand, die Exzesse nehmen zu, die Zuverlässigkeit nimmt ab und die Atmosphäre kippt. Nun ist man plötzlich zu keinerlei Verständnis mehr bereit. Natürlich sind beide Verhaltensweisen nicht professionell. Der richtige Weg ist, dass der Vorgesetzte zeitig und nüchtern die auffälligen Phänomene zur Sprache bringt und auf Hilfen hinweist, ohne selber Diagnosen
zu stellen. Wenn der betroffene Mitarbeiter dann doch nichts ändert, müssen auch arbeitsrechtliche Konsequenzen angedacht werden, zum Besten der Firma - und zum Besten des Patienten.
4. Süchtige und Normale - Vom Sinn der Sucht
Süchtige wurden früher von den Normalen als Sünder verachtet. Dabei war immerhin die heilige Monika, die tapfere Mutter des Augustinus, offenbar zeitweilig dem Alkohol verfallen. Augustinus schreibt in seiner Autobiografie, den »Bekenntnissen«, dem ersten psychologischen Buch der Weltliteratur, dass seine Mutter, nachdem sie als heranwachsendes Mädchen immer mal wieder aus Lust am Verbotenen am Wein genippt hatte, »schließlich fast die vollen Becher ungemischten Weines hinuntertrank«. »Trinkerheilanstalten« waren im 19. Jahrhundert eingerichtet worden, um die Alkohol-»Sünder« zur Umkehr zu bewegen. Die alte Verachtung, die Peinlichkeit der Krankheit, die Scham, das sind noch heute die wichtigsten Hemmungen, die Menschen daran hindern, zur eigenen Sucht zu stehen.
Doch
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