Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
den Orcus pulvern kann. Doch was den Drogenkonsum weltweit vorantreibt, ist letztlich nicht die irregeleitete Gier der Opfer nach Glück. Es ist die maßlose Gier der Dealer nach Geld, die den Drogenmarkt unter Dampf hält.
Heroin ist wie diese schrecklichen pinkfarbenen Joghurts ein Produkt von Bayer-Leverkusen. Als die Substanz Ende des 19. Jahrhunderts hergestellt wurde, um Schmerzen und Husten zu bekämpfen, hatte man noch keine Ahnung, dass man damit eine der gefährlichsten Drogen überhaupt in die Welt gesetzt hatte. Die Abhängigkeit, die schon nach einmaligem Konsum eintreten kann, ist massiv, der körperliche Entzug höchst unangenehm und Drogenpsychosen sind eine gefährliche Komplikation. Über den Heroinentzug gab es lange heftige Debatten. Vor Jahren kannte man nur den »kalten Entzug«, das heißt, dass der Patient stationär aufgenommen wurde, keine Medikamente mit Suchtpotenzial bekam und einen kurzen Entzug durchlebte. Da es merkwürdigerweise keine Selbsthilfegruppen für Drogenabhängige gibt, kam anschließend eigentlich nur eine rigide mehrmonatige Langzeittherapie in einer Fachklinik in Frage. Heilige Schwüre des Drogenabhängigen, dass er bis ans Ende seiner Tage clean leben wollte, waren selbstverständlich. Auf die Härte der Droge reagierte man mit »harten« therapeutischen Maßnahmen. Doch so gut wie keiner ging hin! Die meisten Patienten nahmen diese Therapieangebote einfach nicht an. Die Zahl der jungen Drogentoten nahm dramatisch zu. So ging man neue Wege. Man verließ den dogmatischen harten Kurs und schuf so genannte niedrigschwellige Angebote. Besonders umstritten war der Einsatz der Ersatzdroge Methadon. Dieses Mittel hat ein noch höheres Abhängigkeitspotenzial als Heroin. Es erleichtert aber einerseits den Entzug, andererseits kann man schwer Abhängige durch dauerhafte Substitution (Ersetzung des Heroins durch Methadon) aus der kriminellen Szene nehmen. Konnte es ärztlich vertretbar sein, Menschen ein Suchtmittel zu verordnen, nur damit die Gesellschaft weniger Einbruchdiebstähle zu beklagen hat? Doch entscheidend war, dass auf diese Weise tatsächlich mehr Drogenabhängige in Behandlung kamen und schwer Abhängige vor Verelendung und Tod bewahrt wurden. Während sie den »kalten Entzug« fürchten, lassen sie sich auf den »warmen Entzug« mit Methadon eher ein. Oft kommen sie nur, um sich eine Auszeit von der Szene zu nehmen. Und dann, erstmals seit Langem klar im Kopf, überlegen sie manchmal doch, ob sie nicht den Ausstieg versuchen sollten.
Drogenabhängige zeigen all den konsumversessenen Normalen, die irrsinnigerweise Glück und den Sinn des Lebens mit viel Geld für machbar halten, wohin diese Reise in letzter Radikalität führt. Der Drogenabhängige glaubt mit wahnsinniger Intensität, dass der Kick, dass also das Glück aus eigenen Kräften machbar sei, mit viel Geld, eben mit der Droge. Auf diese Weise entlarven die Drogenabhängigen in schrillen Farben die Pathologien einer wild gewordenen Autonomie. Der letzte Ernst jeder menschlichen Existenz tritt uns hier ungeschminkt entgegen: Die unvermeidlichen Grenzsituationen Schuld, Kampf, Leiden und Tod, wie der Philosoph Karl Jaspers sie nannte. Jeden holen sie eines Tages ein. Und so sind Drogen oft allenfalls die künstliche Antwort auf die alle beunruhigende, ins Nichts verhallende tiefe Frage nach dem Sinn des Lebens. Drogenabhängige tun also nur mit letzter Konsequenz das, was im Grunde alle sehnsüchtig erstreben und was doch ein Irrweg ist. Daher ist das Suchtproblem auch nicht endgültig lösbar und Drogenabhängige sind durch ihre schiere Existenz eine Provokation für die Gesellschaft der ach so Normalen, die ihre eigenen Pathologien lieber verdrängt. Auf solche Provokationen aber reagieren die Normalen mit Ausgrenzung.
Um Glück durch Geld geht es auch bei der Spielsucht, der wichtigsten der heute um sich greifenden, so genannten nichtstoffgebundenen Süchte. Als ich meinen ersten Spielsüchtigen behandelte und bei ihm einen heftigen körperlichen Entzug sah mit Schwitzen, Unruhe, Zittern etc., wollte ich das zuerst gar nicht glauben. Auch hier wurden inzwischen spezialisierte Entzugsprogramme organisiert. Im Grunde kann fast jedes Verhalten süchtig entgleiten. Bei allen therapeutischen Maßnahmen muss aber immer die Frage im Zentrum stehen: Was kann der Süchtige tun anstelle des süchtigen Verhaltens. Je mehr es gelingt, solche sinnvollen Wege (wieder) zu finden, desto eher kann der
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