Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Schülerinnen, inzwischen Lehrerin, sei plötzlich höchst merkwürdig geworden, ob ich sie mir einmal ansehen könne. So betrat eines Tages eine überhaupt nicht merkwürdig aussehende, gepflegt gekleidete junge Frau mein Büro. Sie habe großes Vertrauen zu diesem Theologieprofessor, und nur weil der sie gedrängt habe, zu mir zu kommen, sei sie nun da. Sie habe in letzter Zeit ungewöhnliche Erlebnisse gehabt, aber krank fühle sie sich nicht. Ich erfuhr, dass sie verheiratet sei, zwei kleine Kinder habe, die Ehe sei stabil. Seit einigen Jahren sei sie Lehrerin an einem Gymnasium. Die Tätigkeit mache ihr Freude. Das Gespräch war eigentlich bis dahin völlig unauffällig, hätte ich ihr nicht eine gewisse Unruhe angemerkt. Und so fragte ich sie, was denn wohl den Theologieprofessor veranlasst haben mochte, sie zu mir, einem Psychiater, zu schicken. Sie hielt inne. Ihr prüfender Blick musterte mich kurz. Ich wies nochmals ausdrücklich auf die ärztliche Schweigepflicht hin. Und so begann sie langsam zu berichten, dass sie sich in den vergangenen Wochen eigenartig erleuchtet gefühlt habe. Sie sei sich zwischenzeitlich nicht sicher gewesen, ob sie nicht vielleicht Christus sei. Zuletzt sei sie zur Gewissheit gelangt, sie zögerte kurz, dass sie - der Prophet Elias sei.
Ich war überrascht. Sie hatte das in einem selbstgewissen Ton gesagt, der keinen Zweifel duldete. Ich fragte nach, ob sie das irgendjemand anderem schon gesagt habe. Nein, sie habe das dem Theologieprofessor nur angedeutet, der habe es aber nicht richtig verstanden. Wie es denn im Religionsunterricht sei, fragte ich. Ja, das sei schwierig. Gerade sei der Prophet Elias in der Oberstufe dran gewesen, aber sie habe sich nichts anmerken lassen. Ich gab vorsichtig zu bedenken, dass Elias eine Prophetengestalt des Alten Testamentes sei und dass es nicht nachvollziehbar sei, wie sie nun dieser Prophet sein
sollte. Aber die Patientin war in dieser Frage vernünftigen Argumenten nicht zugänglich. Irgendwie war ihr aber klar, dass sie bei Bekanntwerden dieser ihrer Überzeugung berufliche Probleme bekommen könnte. Außerdem schlief sie in letzter Zeit schlecht. So gelang es mir, sie zu überzeugen, ein neuroleptisches Medikament einzunehmen. Ich hatte ihr auch einen stationären Aufenthalt angeboten, um sie aus der für sie zweifellos anstrengenden Situation herauszunehmen. Aber das wollte sie nicht. Es blieb also nichts anderes übrig, als nach Ausschluss körperlicher Ursachen eine ambulante Behandlung zu versuchen.
Schon beim nächsten Termin berichtete sie über eine gute Wirkung des Medikaments. Sie schlafe besser. Sie erzählte jetzt auch, dass sie schon über lange Zeit die Stimme Gottes gehört habe, der sie berufen, ihr Anweisungen gegeben und ihr Verhalten kommentiert habe. Doch diese Stimmen habe sie nun nicht mehr gehört. Die Überzeugung, der Prophet Elias zu sein, hatte sie freilich immer noch. Vor allem der Religionsunterricht sei sehr mühsam. Sie wollte sich aber nicht krankschreiben lassen, um nicht aufzufallen, und außerdem sei sie ja auch nicht krank. Die Behandlung machte weitere Fortschritte, die Nebenwirkungen des Medikaments hielten sich in Grenzen, der Patientin kamen Zweifel und sie begann, sich von ihrem Wahn, der Prophet Elias zu sein, zu distanzieren. Schließlich war sie wieder gesund. Der Wahn war überwunden. Sie konnte überhaupt nicht mehr verstehen, wie sie auf diesen unsinnigen Gedanken gekommen war. Aber es war Gott sei Dank vorbei. Wir machten noch einige Termine aus, um sicherzugehen, dass dem Frieden auch zu trauen sei. Keiner der kranken Gedanken kam zurück. Noch Jahre später erfuhr ich von der Patientin, dass sie weiterhin erfolgreich ihr Leben lebe.
Es gibt verschiedene Formen der Schizophrenie. Die häufigste ist die paranoid-halluzinatorische Form, unter der auch die Lehrerin litt. In den akuten Phasen ist der Patient wahnhaft und hat akustische Halluzinationen, hört also Stimmen. Diese Form spricht gut auf eine Behandlung mit Neuroleptika an.
Die hebephrene Form (vom Griechischen: hebe = Jugend) beginnt meist sehr früh in der Jugend, zeigt einen weniger gut beeinflussbaren schleichenden Verlauf, der junge Patient redet geschwollen und läppisch daher und verliert im Gespräch und in seinem Leben immer mehr den Faden. Es gibt keinen klaren Hinweis auf Halluzinationen oder Wahn, aber die Affektivität, die Gefühlswelt, ist betroffen. Wie bei allen Formen der Schizophrenie, hier aber
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