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Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde

Titel: Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Luetz Eckart von Hirschhausen
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empfängt, hilflos ausgeliefert zu sein, das ist die Grundstörung bei der Schizophrenie. Schizophrenie ist also keine »Persönlichkeitsspaltung«, wie man manchmal hören kann, weil es - aus dem Griechischen übersetzt - »Seelenspaltung« heißt. So etwas wäre eher eine »Multiple Persönlichkeit«. Schizophrenie ist etwas anderes: Jeder weiß normalerweise, was es heißt, wenn er »Ich« sagt. Genau das aber ist dem Schizophrenen zweifelhaft geworden. Was ist er selbst, was macht seine Umwelt? Sind die Stimmen, die er und nur er hört, die seine Handlungen kommentieren, ihm Befehle erteilen oder die miteinander über ihn reden, Stimmen von ihm selbst oder doch in Wahrheit Stimmen von anderen? Sind seine Gedanken, die er sogar manchmal laut hören kann, seine eigenen Gedanken, oder sind sie in Wirklichkeit von außen eingegeben? Und können umgekehrt seine eigenen Gedanken von anderen gehört werden oder gar durch andere ihm entzogen werden? Ist er noch Herr im eigenen Haus oder wird der eigene Wille in Wahrheit fremdgesteuert? Sind seine körperlichen Gefühle von außen - durch Strahlen oder Ähnliches - gemacht und daher gar nicht seine eigenen Gefühle? Sind nicht irgendwelche Leute hinter ihm her, steht ihm nicht der sichere Tod bevor? Sind die Dinge, die er wahrnimmt, irgendwie alle auf ihn bezogen? - Für einen akut schizophren Erkrankten sind all das keine Fragen. Es sind Gewissheiten, die gewisser sind als Ihre vergleichsweise schwache Überzeugung, dass Sie im Moment ein Buch lesen, in dem merkwürdige Dinge beschrieben werden. Eine solche durch Argumente unkorrigierbare Gewissheit nennt man Wahn.
     
    Der akute schizophrene Schub ist für den betreffenden Menschen anstrengend und existenziell erschütternd. Deswegen werden auch die existenziell am tiefsten reichenden Überzeugungen des Menschen bei dieser Erkrankung aufgerufen. Daher sind religiöse Themen nicht selten. Das heißt nicht, dass die Religion jemanden in die Schizophrenie treiben kann, sondern dass diese Erkrankung sich solche Inhalte sucht. Da meint
dann jemand, der nie viel mit der Kirche am Hut gehabt hat, er sei Gott oder Christus oder der Papst. In einem weniger religiös geprägten Umfeld werden sich Schizophrene andere Inhalte suchen.
     
    Die Krankheit selbst ist von diesen Inhalten und auch von sonstigen gesellschaftlichen Einflüssen weitgehend unabhängig. Man hat festgestellt, dass in allen Kulturen von Europa bis zur Südsee der Prozentsatz an Schizophrenen ungefähr gleich ist: Etwa 1 Prozent der Menschen sind irgendwann in ihrem Leben mal schizophren. Das ist eigentlich ziemlich viel. Hätten Sie erwartet, dass statistisch in einer Gruppe von 100 Menschen, denen Sie begegnen, wahrscheinlich einer früher mal, später mal oder jetzt aktuell schizophren ist? Gewiss, manche Schizophrene sind in stationärer Behandlung - aber nur sehr wenige. Manche chronisch Schizophrene leben in Heimen oder anderen spezialisierten betreuten Wohnformen. Aber sie leben ansonsten ganz normal in der Gesellschaft, fahren Bus und Bahn und man sieht ihnen die Schizophrenie nicht an. Vor allem aber ist es ein immer noch weit verbreiteter Irrtum, zu denken, die Diagnose Schizophrenie bedeute, lebenslang »verrückt« zu sein.
     
    An diesem öffentlichen Vorurteil ist die Psychiatrie nicht ganz unschuldig. »Dementia praecox« - vorzeitige Verblödung, hatte Emil Kraepelin 1893 die Schizophrenie genannt. Und der Ausdruck »Schizophrenie«, von Eugen Bleuler 1911 erfunden, war auch nicht besonders gescheit. Beides ist aus heutiger Sicht grober psychiatrischer Unfug. Seelenspaltung ist, wie schon erläutert, ein missverständlicher Begriff und Schizophrenie geht eben gerade nicht mit einer Intelligenzminderung einher. Schizophrene sind oft brillante Schüler, die plötzlich von der Krankheit erwischt werden, differenzierte Akademiker und nicht selten besonders feinsinnige Menschen, die aufgrund einer erblichen Belastung meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr erkranken. Früher hat man intelligenzgeminderte Menschen und psychisch Kranke in den Heil- und Pflegeanstalten zusammengesperrt. Das hat beiden Menschengruppen nicht
gutgetan und die Vorurteile über die »Irren« massiv verstärkt. Die Wahrheit ist, dass der durchschnittliche Intelligenzquotient in einer psychiatrischen Klinik und im Bundesgesundheitsministerium mutmaßlich völlig identisch ist. Ernsthaft!
     
    Eines Tages rief mich ein Theologieprofessor an. Eine seiner ehemaligen

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