Irre - Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen - Eine heitere Seelenkunde
Schließlich ist die Dysmorphophobie eine eigenartige Störung, bei der ein völlig »normal« aussehender Mensch der festen Überzeugung ist, entstellt auszusehen. Das kann sich bis zu wahnhaften schweren Leidenszuständen steigern. Da gibt es dann skrupellose »Schönheitschirurgen«, die solche Patienten hemmungslos
in den Suizid hineinoperieren. Patienten mit somatoformen Störungen suchen in der Regel von sich aus nicht den Psychiater auf, sondern betreiben mitunter lange Zeit ein für alle Beteiligten leidvolles »Doctor-Hopping«.
Bei der Sexualität gibt es sehr viele Spielarten, die man alle heutzutage nicht mehr als krankhaft bezeichnen würde. Auch hier ist entscheidend, ob Menschen an ihrer Sexualität leiden oder andere leiden lassen. Psychotherapie ist das Mittel der Wahl, doch inzwischen gibt es bei Leiden unter sexueller Unterfunktion medikamentöse Hilfen, freilich ebenso bei Leiden unter sexueller Fehl- oder Überfunktion. Transsexualität hat übrigens mit Sexualität wenig zu tun. Es geht hier vielmehr um ein Leiden an der als fremd erlebten Geschlechtsidentität, ein Mann empfindet sich als Frau, eine Frau empfindet sich als Mann. Das Leiden daran kann erheblich sein. Die Therapie geht bis zu Operationen, die natürlich nicht aus einem Mann eine genetische Frau machen können oder umgekehrt. Es handelt sich vielmehr um eine kosmetische Operation, die mitunter Leiden lindern kann. Die Frage der sexuellen Aktivität ist bei diesen Patienten eher nebensächlich. Auch manches andere Verhalten kann leidvoll entgleiten. Bekannt ist die Pyromanie, die pathologische Brandstiftung, die Kleptomanie, pathologisches Stehlen, die Trichotillomanie, pathologisches Haareausreißen. Wobei natürlich auch die nichtpathologische betrügerische Brandstiftung, das nichtpathologische rücksichtslose Stehlen und das nichtpathologische brutale Haareausreißen höchst ärgerliche Handlungen sind. Doch gegen so etwas gibt es keine Therapie, weil das leider »normal« ist.
3. Dr. Jekyll und Mister Hyde - Psychiatrische Dramen
Und dann sind da noch die Dr. Jekylls and Mister Hydes, die multiplen Persönlichkeiten, und die psychisch bedingten Lähmungen, Krampfanfälle, »Besessenheitszustände«. Das ist die bizarre Gruppe der so genannten dissoziativen Störungen, die
immer schon großes öffentliches Interesse ausgelöst haben, die immer gut sind für einen Filmstoff und die doch in der Praxis vergleichsweise selten vorkommen. Es gibt Menschen, die vor allem nach plötzlichen erschütternden Ereignissen Teile ihres Bewusstseins sozusagen abspalten können, als gehörten diese Teile nicht zu ihnen, und die dann bestimmte Störungen in Szene setzen. Wie vollständig diese Abspaltung ist, also wie bewusstseinsnah diese merkwürdigen Zustände sind, das kann man nicht immer genau sagen. Jedenfalls schränken diese schließlich mehr oder weniger automatisierten Phänomene die Lebensqualität bei diesen Menschen manchmal erheblich ein. Es ist Aufgabe des einfühlsamen Therapeuten, den Patienten Brücken zu bauen, auf denen sie die auffälligen pathologischen Verhaltensweisen verlassen und wieder zu mehr oder weniger normalen Reaktionen zurückkehren können.
Eines Tages rief uns unser Chef zu einem Patienten, der mit einer Lähmung des rechten Armes gekommen war. Neurologisch waren überhaupt keine Ausfälle festzustellen, die Reflexe des rechten Armes waren genauso lebhaft wie die des linken Armes, der Tastsinn war unverändert, das heißt, eigentlich waren alle Nerven- und Muskelfunktionen völlig intakt. Doch der Patient wies mit demonstrativem Nachdruck auf seine »Lähmung« hin. Die »Lähmung« betraf freilich Muskeln, die gar nicht gemeinsam von einem Nerv versorgt wurden. Der Patient wirkte also auf eine Weise gelähmt, wie sich ein medizinischer Laie nun mal eine »Armlähmung« vorstellte. Der junge Mann hatte Probleme am Arbeitsplatz und da war es zu der Lähmung gekommen. Mit suggestivem Zureden gelang es schließlich, dass der Patient langsam den Arm wieder bewegen konnte. Nach einer Stunde war der Spuk vorbei. Es wäre falsch zu behaupten, der Mann habe das alles mit kühler Berechnung so inszeniert, aber das Ganze war auch nicht komplett vom Bewusstsein abgetrennt. Deswegen konnte man den Patienten überhaupt durch suggestives Reden erreichen.
Die Fähigkeit zu diesen Reaktionen haben nicht alle Menschen. Wer so reagieren kann, dem können solche Phänomene
in besonderen Belastungssituationen
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